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luther blissett schrieb am 21.10. 2002 um 00:31:54 Uhr über

Register

an welchem punkt wird der arzt zum unmoralischen komplizen eines
zerstörerischen milieus?

»Es säuft das Meer aus, frißt den Mond, verschluckt die Sonne und die Sterne; und wird nicht satt und wird nicht satt; es frißt die Kinder wie die Greise, die Weiber wie die Männer, die Knaben wie die Mädchen; und wird nicht satt und wird nicht satt; es frißt den Rumpf vom Pferd wie vom Menschen und vom Hund, ftißt Köpfe wie die Gerste, Augen wie den Klee, ftißt Hafer, Weizen, Rinder, Schwein und Huhn, frißt den Vogel wie denfisch, schluckt das Dorf, verschluckt die Stadt; und wird rn'c.'rl-L, wird nicht satt; ftißt Wälder wie Gedärme, die Hand, den Fuß, ftißt Herzen, säuft am liebsten Blut; und wird nicht satt und wird nicht satt

Das Lied des Johannes Null (Nufi)







ISBN 3-518-03216-X


schwer chronisch-degenerativ zusammenbruch ätiologie
selektives risiko kognitive dissonanz medizinisch-militärischer komplex
rollenkonflikt laie hausfrau wissenschaftler praktiker
kontrolle legitimation strategie erzieher juristen
ehrenvorrecht
pflegehilfskraft approbation angestellter mannschaftskapitän
prestige hierarchie ideal autonomie dienstleistende
bürokratisierung prozeß professionalisierung
studien zur begrenzung einer weiteren wucherung der
para-professionen
klient experte
öffentliche bewilligung
kampagne
optometriker apotheker zahnärzte vermögensverhältnisse macht
doktrin
fachliche ideologien, die die einhaltung hoher standards der
medizinischen betreuung vertreten, halten ein gesundheitswesen in gang,
das die einfachen bedürfnisse der vielen vernachläßigt, um sich auf
die bedürfnisse der wenigen zu konzentrieren.
amphoren blei faktoren einkommen sterblichkeit knochenfunde
friedhof wein armut
plädoyer morbidity disability utilization symposium
access benefits framework chronotopologie comparisons
nutzung abhängig variabel simultane messung zahlung
zugang oberschicht bedürfnis mangel nachfrage population
empfänger gesundheitsdollar einkommensgruppe
regierung kolonie le canard enchainé empire power
profits störungen ausbeutungscharakter merkmale
willkür hätschelt reaktionen beteiligung berater
qualitätskontrolle dimensionsanalyse gefahr anpassung
kokon endemie nahrungsmangel kapitalinvestition
kunstfehler bsp daten arbeitsmedizin berichterstattung
unachtsamkeit arbeitzplatz projektion sozialmedizin
konsument : stop the war ! stop la guerre !

verkäufer : repeat !

Beginn bis Ende von Valentina Borremans geführte, durch
Spanischunterricht finanziell unabhängige "Denkerei über
Entwicklungsfolgen"; ein Ort, an dem ich vielmals - oft über Wochen hin - Gastgeber für Gespräche sein konnte, in deren Rahmen auch Die Nemesis der Medizin steht. Trotz ihrer Inanspruchnahme durch die beispielhafte Abwicklung dieses Betriebes hat Valentina Borremans mit ihrer Kritik an Unterlagen und Interpretationen mein Urteil geschärft und meine Sprache versachlicht. Keimhaft waren Teile dieses Buches schon in unserer gemeinsamen, 1968 begonnenen und noch immer nicht abgeschlossenen Studie zum Antlitz des Todes angelegt.

Ivan Illich, Cuernavaca 1995

Einleitung


Die etablierte Medizin hat sich zu einer ernsten Gefahr für die Gesundheit entwickelt. Die lähmenden Folgen einer von professionellen Standesorganisationen ausgeübten Kontrolle über das Gesundheitswesen erreichen mittlerweile die Ausmaße einer Epidemie. Der Name dieser neuen Epidemie ist Iatrogenests; hergeleitet von tatros, dem griechischen Wort für Arzt, und genest's, Ursprung. Die Diskussion über den krankmachenden medizinischen Fortschritt steht heute weit oben auf der Tagesordnung ärztlicher Fachtagungen; die Forschung befaßt sich mit den Krankheit erzeugenden Faktoren von Diagnose und Therapie; und Berichte über paradoxe, durch die Heilung von Krankheit verursachte Schäden beanspruchen immer mehr Raum in der medizinischen Fachpresse. Den Gesundheitsberufen steht ein beispielloser Kehraus bevor. Hier und dort entstehen »Clubs of Cos so benannt nach der griechischen Insel der Ärzte, in denen sich Ärzte, hochmögende Pharmazeuten und deren Sponsoren aus der Industrie zusammenfinden - ähnlich wie der «Club of Rome» Wirtschafts«analytiker» unter der Ägide von Ford, Fiat und Volkswagen versammelte. Die Lieferanten medizinischer Dienstleistungen folgen dem Beispiel ihrer Kollegen aus anderen Branchen, wenn sie die Peitsche der «Wachstumsgrenzen" über dem Zuckerbrot immer heißer begehrter Transportmittel oder Therapien schwingen. Die Grenzen eines auf den professionellen Experten hin zentrierten Gesundheitswesens sind zu einer politischen Frage geworden, die rasch an Bedeutung gewinnt. Wessen Interesse diese Beschränkung dient, wird weitgehend davon abhängen, wer die Initiative ergreift und ihre Notwendigkeit formuliert: die Menschen, die sich zusammengetan haben, um auf der politischen Ebene den Status quo der Expertenmacht in Frage zu stellen - oder aber die Gesundheitsberufe, denen daran gelegen ist, ihr Monopol noch weiter auszubauen.

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ma-Industrie, und sie benötigen nur fundierte Informationen,
um ihre Vorbehalte zu untermauern. Manche Ärzte halten es
1 ihre Glaubwürdigkeit zu sichern, indem

bereits für notwendig,
sie die gesetzliche Ächtung vieler heute üblicher Behandlungsformen fordern. Die von manchen Fachleuten für den Medizinbetrieb geforderten Restriktionen sind oft so radikal, daß sie für die meisten Politiker inakzeptabel sind. Die mangelnde Wirksamkeit kostspieliger und mit hohen Risiken verbundener Medizin ist heute eine allgemein diskutierte Tatsache, von der ich bei meinen Überlegungen ausgehe - kein Diskussionspunkt, der weiterer Ausführung bedürfte.
Der zweite Teil behandelt die unmittelbar gesundheitsschädlichen Folgen der sozialen Organisation von Medizin, und der dritte Teil befaßt sich mit der lähmenden Wirkung der medizinischen Ideologie auf die Lebenskraft des einzelnen: in drei besonderen Kapiteln schildere ich, wie Schmerz, Schwäche und Tod von einer Herausforderung für den einzelnen zu einem technischen Problem geworden sind.
Im vierten Teil interpretiere ich die der Gesundheit abträgliche Medizin als typischen Fall der Kontraproduktivität einer überindustriallsierten Zivilisation und analysiere fünf Formen der politischen Reaktion, die zwar taktisch nützliche, aber strategisch insgesamt vergebliche Heilmittel darstellen. Ich unterscheide zwei Arten, wie der einzelne sich zu seiner Umwelt verhält und sich ihr anpaßt: autonome (d.h. selbstbestimmte) Lebensbewältigung und heteronome (von außen zugeteilte) Wartung und Verwaltung. Abschließend weise ich nach, daß nur ein politisches Programm, das auf eine Beschränkung der Gesundheitsverwaltung durch Experten abzielt, den Menschen die Möglichkeit geben wird, ihre Kraft der Gesundheitspflege zurückzugewinnen, und daß ein solches Programm integraler Bestandteil einer die ganze Gesellschaft erfassenden, auf Beschränkung gerichteten Kritik an der industriellen Produktionsweise sein muß.

I. Klinische Iatrogenesis


1. Die Pestilenz der modernen Medizin

Die letzten drei Generationen erlebten einen dramatischen Wandel im Bild der in den westlichen Gesellschaften verbreiteten Krankheiten.' Poliomyelltis, Diphtherie und Tuberkulose sind beinah verschwunden; Lungenentzündung oder Syphilis ist mit ein paar Antibiotika-Injektionen heilbar; und inzwischen sind so viele Massenseuchen unter Kontrolle gebracht, daß heute zwei Drittel aller Todesfälle durch Altersleiden bedingt sind. Wer in jungen Jahren stirbt, ist meist Opfer eines Unfalls, von Gewalt oder Selbstmord.' Dieser Wandel der allgemeinen Gesundheitsbedingungen wird für gewöhnlich mit verringertem Leiden gleichgesetzt und auf mehr oder bessere ärztliche Versorgung zurückgeführt. Auch wenn heute fast jeder irgendwie überzeugt ist, daß der eine oder andere seiner . Freunde nur der ärztlichen Kunst sein Leben verdanke, so ist damit noch keine direkte Beziehung zwischen dem Wandel der Krankheitsbilder und dem sogenannten medizinischen Fortschritt bewiesen.' Die eingetretenen Veränderungen sind abhängige Variable von politischen und technologischen Umwälzungen, die sich auch im Sagen und Tun der Ärzte widerspiegeln; strenggenommen haben sie wenig mit den Aktivitäten der Gesundheitsberufe zu tun, mögen diese auf ihre langwierige Ausbildung, ihren hohen Sozialstatus und ihr teures Gerät noch stolz sein. 4 Zudem sind die neuen Krankheiten, die in den letzten 15jahren in den Vordergrund traten, in zunehmendem Maß Folgen ärztlicher Eingriffe an kranken oder gesunden Menschen. Sie sind also vom Arzt verursacht - d. h. latrogen.' In hundertjährigem Streben nach der medizinischen Utopie' hat die Medizin - im Gegensatz zur landläufigen Meinung 7 _

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wenig zu der tatsächlich eingetretenen Veränderung der Lebenserwartung beigetragen. Der größte Teil der heutigen klinischen Behandlung ist für die Heilung von Krankheit nebensächlich, doch der Schaden, den die Medizin der Gesundheit von Individuen und Bevölkerungen zufügt, ist ganz erheblich. Diese Tatsachen liegen auf der Hand; sie sind zuverlässig dokumentiert und werden zuverlässig unterschlagen.

Der Erfolg der Ärzte - eine Illusion

Untersucht man die Entwicklung der verschiedenen Krankheiten, dann zeigt sich, daß die Ärzte in den letzten hundert Jahren keinen wesentlicheren Einfluß auf Epidemien hatten als in früheren Zeiten die Priester. Seuchen kamen und gingen; sie wurden von den einen wie von den anderen verdammt und blieben doch von beiden unberührt. Durch die in der ärztlichen Praxis vollzogenen Rituale lassen sie sich nicht entscheidender beeinflussen als durch jene, die einst in heiligen Stätten geübt wurden.' Es wäre der Diskussion um die Zukunft des Gesundheitswesens zuträglich, wenn sie von dieser Erkenntnis ausginge.
Die Infektionskrankheiten, die zu Beginn des Industriezeitalters vorherrschten, sind ein Beispiel dafür, wie die Medizin ihre Reputation' erlangte. Die Entwicklung der Tuberkulose z.B. erreichte im Lauf zweier Generationen einen Gipfel. Für New York wurde 1812 eine Todesrate von mehr als 700 pro 10000 Ew. geschätzt. 1882, als Robert Koch erstmals den Bazillus isolieren und kultivieren konnte, waren die Todesfälle durch Tuberkulose bereits auf 370 pro 10000 Ew. zurückgegangen. Als 1910 das erste Sanatorium eröffnet wurde, war die Rate schon auf 180 gesunken, wenngleich die »Schwindsucht« noch immer den zweiten Platz auf den Sterbetabellen hieltNach dem Zweiten Weltkrieg, aber noch bevor die Antibiotika-Therapie routinemäßig eingesetzt wurde, war sie mit einer Rate von 48 auf den 1 1. Platz gerutscht. Ähnlich stiegen und fielen die Zahlen für Cholera«, Ruhr" und Typhus, unabhängig von ärztlichem Zutun. Als schließlich ihre Ätiologie bekannt und ihre spezifische Therapie gefunden war, hatten sie viel von ihrer

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Gefährlichkeit und mithin ihrer sozialen Bedeutung e'ngebüßt. Die addierten Sterbeziffern für Scharlach, Diphtherie, Keuchhusten und Masern bei Kindern bis zum 15. Lebensjahr zeigen, daß der zwischen 1860 und 1965 eingetretene Rückgang der Mortalität sich zu beinah 90 Prozent ereignete, bevor die Antibiotika eingeführt und Schutzimpfungen allgemein verbreitet warenZum Teil kann dieser Rückgang auf bessere Wohnbedingungen und eine geringere Virulenz der Mikro-Organismen zurückgeführt werden, doch der bei weitem wichtigste Faktor war eine durch bessere Ernährung bedingte höhere Resistenz des menschlichen Körpers. In den armen Ländern treten Diarrhoe und Infektionen der oberen Atemwege häufiger auf, dauern länger und führen, wo die Ernährung schlecht ist, zu einer höheren Sterblichkeit, ganz gleich wieviel oder wie wenig ärztliche Versorgung zugänglich istMitte des 19.Jahrhunderts traten in England an die Stelle der infektiösen Epidemien allgemeine Syndrome der Unterernährung wie Rachitis (»Englische Krankheit') und Pellagra (B2-Avitaminose). Diese breiteten sich ihrerseits aus und gingen zurück, um dann wieder durch die Kinderkrankheiten und später durch die Zunahme von Zwölffingerdarmgeschwüren bei jungen Männern abgelöst zu werden. Als diese wiederum zurückgingen, drangen die modernen Epidemien vor: Koronarerkrankungen, Emphyseme (Erweiterung der Lungenalveolen), Bronchitis, Fettleibigkeit, Bluthochdruck, Krebs (bes. Lungenkrebs), Arthritis, Diabetes und die sogenannten psychischen Krankheiten. Trotz intensiver Forschung können wir die Ursachen dieser Veränderungen nicht vollständig erklärenZwei Dinge aber sind gewiß: Weder kann die Beseitigung alter Formen von Mortalität oder Morbidität der ärztlichen Praxis gutgeschrieben werden, noch sollte man ihr die gestiegene Lebenserwartung von Menschen anlasten, die an neuen Krankheiten leiden müssen. Die Analyse der Krankheitstrends für mehr als ein Jahrhundert zeigt nämlich, daß die Umwelt die ausschlaggebende Determinante des allgemeinen Gesundheitsstandes jeder Bevölkerung istDie Medizingeographie,« die Geschichte der Krankheitendie medizinische Anthropologie« und die Sozialgeschichte der

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