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Bettina Beispiel schrieb am 29.10. 2019 um 23:08:20 Uhr über

Gelb

"...
Ich lag ruhig auf meinem Bett und konnte mich nicht bewegen. Ich musste wieder katatonisch geworden sein. Pinya (19, Pflegerin) stand erbost in der Zimmertür und begann zu schimpfen, »du bist ein würdeloser, egoistischer und herzloser Mann. So viele Leute bieten dir ihre Hilfe an und du stößt sie weg. Du lässt dich von mir bekochen, bedienen und kommandierst mich herum, bin immer da, wenn du mich brauchst. Und was bekomme ich von dir zurück? Nicht ein freundliches Wort, du stößt mich weg. Und wenn ich einmal Zeit für meine Familie brauche, dann ist dein erstes Wort 'wo warst du so lange'. Du bist ein Scheißkerl!«. Sie hatte Tränen in den Augen.
In ihren feinen, asiatischen Gesichtszügen sahen die von Tränen gequollenen Augen wie kleine Edelsteine aus. Mir war bisher nicht klar, wie viel ich ihr bedeutet haben und wie stark sie mein Verhalten gekränkt haben muss. Leider konnte ich nicht aufstehen und sie in den Arm nehmen oder wenigstens irgendwas tröstendes sagen. Dazu fehlte mir die Kraft. Sie rannte aus dem Zimmer, hinaus aus dem Haus. Es tat mir weh. Plötzlich kam ich mir schwach und erbärmlich vor. War ich nicht auf ihre Hilfe angewiesen? Natürlich, sie verdiente sich an mir das Geld für ihre Familie, ihren kranken Vater, aber eigentlich brauchte ich sie viel mehr als sie mich. Das wurde mir jetzt schmerzlich bewusst. Während ich dalag und viel Zeit hatte um darüber nachzudenken, was ich in den vergangenen 3 Tagen alles falsch gemacht habe, schlief ich endlich ein. Am nächsten Morgen würde ich wohl die Agentur um eine neue Pflegerin bitten müssen. Nur hatte ich dazu nicht die geringste Lust.
Am nächsten morgen wurde ich von Pinya geweckt. »Dein Frühstück ist fertig«, sagte sie mit sanfter Stimme. Diesmal war kein Lächeln für mich dabei. Wie kalt ein asiatisches Frauengesicht doch aussehn kann. »Du bist also doch zurückgekommen«, sagte ich und fühlte wieder die Kraft, um mich aufzurichten und in meinen kleinen Stuhl zu steigen. Ihr Gesicht blieb völlig ausdruckslos, »was soll sonst aus dir werden, du alter Mann«. Sie begann mein Bett zu machen, während ich mein mageres, ärztlich verordnetes Frühstück zu mir nah. Als sie fertig war begann ich wieder in alte Gewohnheiten zurückzufallen. »Pia! Pia, mein Schatz, gehst du bitte zur Haustür und holst die Post herein?«, sagte ich und bedauerte fast sofort meine Worte. Ohne mich anzusehen tat sie, worum ich sie gebeten hatte. Diverse Briefe kamen herein. »Falls es nicht zuviel ist... den hier müsstest du mir vorlesen«, murmelte ich als ich einen Brief hinhielt. Er war in keiner westlichen Schrift geschrieben. Wieder tat sie, wie ich wollte. Ich bemerkte, wie sie mit offenen Mund und weit geöffneten Augen den Brief ansah. »Du hast«, begann sie, »eine Belobigung für deine Leistungen erhalten. Die Partei gewährt dir einen monatlichen Ehrensold von 50000 Sen«.
Zum ersten Mal sah ich den Ausdruck ehrlich Bewunderung für mich in ihren Augen. Es war ein schönes Gefühl, wenn auch hier unangebracht. Sie verneigte sich vor mir, »es tut mir leid, wie ich gestern mit dir gesprochen habe« - »Nicht doch- »Bitte nimm meine Entschuldigung an, wenn ich dir versichere, dass es nie wieder geschieht«.
Ich selbst fühlte mich ihr gegenüber schuldig und konnte es daher nicht annehmen. »Nein«, sagte ich bestimmt.
Sie sah kurz zu mir hoch, in ihr Gesicht war eine Mischung aus Erstaunen und Entsetzen geschrieben. Dann ging sie wieder in die Position der Verneigung, so dass ihr Gesicht unter ihren langen, schwarzen Haaren verschwand. »Wenn das so ist, dann bitte ich um Entschuldigung und verspreche ab jetzt noch viel härter zu arbeiten. Es ist selbstverständlich, dass ich nie wieder so mit dir reden werde, weshalb ich dich beledigt haben, das anzubieten. Stattdessen will ich nun meine Arbeit noch sorgsamer und gründlicher erledigen. Ich will meinen Fehler wieder gut machen, aber bitte, bitte nehme diese Entschuldigung an«, ihre Stimme klang verzweifelt und bebte beim Sprechen.
Ich wusste zunächst nicht, was ich antworten sollte und musste einige Augenblicke darüber nachdenken. Pinya hob den Kopf etwas, um mich anzusehen. Sie wartete peinlich berührt auf eine Antwort. Erst jetzt wurde mit klar, Pinyas Erziehung und Kultur lassen überhaupt keinen anderen Ausweg zu als eine Entschuldigung ihrerseits. Sie hatte jemanden, der über ihr stand und sogar von den höchsten Autoritäten belobigt worden war, herablassend behandelt und musste nun eine Wiedergutmachung anbieten. Es war wichtig, dass sie den Fehler einzig und allein auf sich nahm. Alles andere würde sie beschämen. Leider veranlassten mich meine Erziehung und Kultur, mich in ihre Lage zu versetzten und einen Kompromiss zwischen uns zu suchen. Mein Gesicht war ernst und gefasst und ich sah ihr direkt in den Augen. In Pinyas Kopf musste ich in diesem Augenblick wohl die Mischung aus ihren Vater, Lehrern, den vergötterten Führern der Partei und all den anderen männlichen Autoritätspersonen in ihren Leben geworden sein, gegen die sie sich versündigt hatte und vor denen sie nun um Vergebung flehte. Und ich? Ich blicke mit den durchdringenden Blick aller Urteilenden direkt in ihre Augen und schwieg. Sie neigte den Kopf wieder nach unten. Mit zitternder Stimme sprach sie weiter, »...wenn das nicht genug ist, entschuldige ich mich dafür. Ich verspreche, meine Arbeit von jetzt an widerspuchslos so zu erledigen wie du es wünschst bis du zufriedengestellt bist. Bitte... nimm diese Entschuldigung eines unwürdigen, dummen Mädchens an... Nimmst du diese Entschuldigung an?« »Ja«, hörte ich mich selbst mit sehr lauter und tiefer Stimme sagen. Pinya nickte und richtete sich wieder auf. Wortlos brachte sie mein schmutziges Geschirr in die Küche und begann dort, zu waschen.
Das war also der von mir ersehnte Neustart unserer Beziehung. Ein kompliziertes interkulturelles Gepflecht aus gegenseitigen Schuldgefühlen und Abhängigkeiten. Aber war ich in der so viel schlechteren Position? Auch vor jemanden aus den Westen hätte mein Gesundheitszustand Grund für besondere Rücksicht geliefert. Natürlich, ich hatte Pinya vielleicht unsensibel herum kommandiert und mir einiges erlaubt. Ehrlich gesagt, ich war auch mit der anmassenden Vorstellungen in ihr Land gekommen, dass man mich 40 jährigen Pflegefall hier wie einen Lord behandeln würde und nicht wie einen erbärmlichen Krüppel.
Unsere neue Basis sah wie folgt aus, Pinya erledigte ihre Aufgaben ohne zu murren, schneller und mit größeren Elan als zuvor und ich beschloss, nicht zu viel von der jungen Asiatin zu verlangen. Im Laufe der Zeit überwog bald Bequemlichkeit und Gewöhnung meinen edlen Grundsatz. Schon bald erwischte ich mich dabei, wie ich Pinya schon am Morgen mit Aufgaben für den ganzen Tag überschüttete und sie am Nachmittag noch wegen einer nichtigen Angelegenheit in die Stadt schickte.
Es kam natürlich wieder zum Streit über meine zu hoch gegriffenen Wünsche. Als ich diesen einmal mit der Erinnerung an ihr Versprechen für mich entschied, spürte ich das inneren Verlangen, mich dafür zu entschuldigen.
Es war aussichtslos, sie sah den Fehler bei sich. Den Haushalt zu führen, das war in ihrer Kultur eben die wichtigste Pflicht der Frau und da ich sie ja dafür bezahle, diese Pflicht zu erfüllen, gab es eigentlich nichts, bei dem ich falsch lag. Ich gebe zu, dieses Denken bald übernommen zu haben..."


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