Aufklärung über die Aufklärer
Florian Rötzer 23.12.2002
Kritiker des vom Pentagon geplanten Überwachungssystems Total
Information Awareness (TIA) wollen gegen die Projektleiter, vornehmlich
den dubiosen ehemaligen Admiral Poindexter, mit gleichen
Informationswaffen zurückschlagen
Das Pentagon-Projekt, ein sogenanntes Total Information Awareness (TIA) System
zu entwickeln, das weltweit möglichst alle Daten sammeln und mit neuen,
ausgefeilten Data-Mining-Programmen nach verdächtigen Mustern durchsuchen soll,
hat natürlich alleine schon zu teils ungläubiger, teils
heftiger Kritik geführt. Doch auch die
Berufung von John Poindexter, eines zwielichtigen, in dunkle politische Geschäfte
verwickelten Offiziers aus der Reagan-Zeit als Leiter des dafür bei der DARPA
zuständigen Information Awareness Office ( IAO), mithin als
Big Brother, hat berechtigte Sorge laut werden lassen. Nun versuchen einige
Cyberaktivisten mit ihren Mitteln zurückzuschlagen.
Auch das Logo ist
mittlerweile von der
Darpa-Website
verschwunden
Schon als im Frühjahr Poindexter, zusammen mit Oliver North Drahtzieher des
Iran-Contra-Skandals, bei dem zum Austausch gegen US-Geiseln Waffen an den Iran
verkauft wurden, um mit dem Geld dann die Contras in Nicaragua militärisch gegen die
von den USA unerwünschte sozialistische Regierung zu unterstützen, wurde natürlich
gefragt, warum man ausgerechnet diesen Mann in die US-Regierung berufen hat (
Rumsfeld: Pentagon lügt nicht). Verboten war sowohl der
Waffenverkauf an den Iran, als auch die Unterstützung der Contras. Das war durch das
Boland Amendment, das vom Kongress verabschiedet und vom Präsidenten unterzeichnet
worden, untersagt. Als Sicherheitsberater Reagans hatte Poindexter dies wohl nicht ohne
Wissen des Präsidenten gemacht.
Möglicherweise also gab es für den ehemaligen Sicherheitsberater Reagans - Bush sen.
war damals Vizepräsident - gute Gründe, ihn wieder ins Boot zu hieven, nachdem er dem
Vaterland so gute Dienste geleistet und den Präsidenten - und Vizepräsidenten - nicht
belastet hat. Schließlich setzt die Bush-Regierung im Augenblick beim Kampf gegen den
Terrorismus auch wieder auf ähnliche »verdeckte Aktionen« wie im Kalten Krieg. Bush
sen. war, bevor er von Reagan zum Vizepräsidenten berufen wurde, Direktor des CIA und
kannte sich mit dem Spiel hinter der Bühne wohl gut aus. Ob nun die »Fähigkeiten« von
Poindexter gebraucht wurden oder Bush jun. irgendwie dem Mann wegen seines Vaters
verpflichtet war, bleibt vorerst Familiengeheimnis. Sein Wissen hat man wohl immer
gefürchtet und geachtet, schließlich konnte der Admiral nach seiner Entlassung eine Firma
leiten, die im Auftrag des Pentagon arbeitete - und auch schon mit Genoa
Vorläuferprogramme des jetzt geplanten TIA-Systems entwickelte.
Poindexters dunkle Geschäfte flogen 1986 auf. 1990, als Bush sen. US-Präsident war,
wurde der Verschwörung, der Behinderung der Justiz und der Vernichtung von
Beweismaterial - er löschte beispielsweise 5.000 belastende
Emails, aber dummerweise nicht die auf den Backup-Bändern - für
schuldig befunden. Poindexter wurde auch von der Regierung Costa Ricas beschuldigt, im
Kokain-Handel mitgemischt zu haben, um Gelder für die Contras aufzutreiben. Gegen das
Reich des Bösen von damals verbündete man sich mit allerlei Freunden, auch mit solchen
wie den Mudschaheddin in Afghanistan oder Saddam Hussein, gegen die man dann wieder
Krieg führen muss.
Kurz nach der Verurteilung sprach das Oberste Gericht Poindexter aber frei, weil er zuvor
unter der Zusage von Immunität bereits vor dem Kongress ausgesagt hatte (und sich, wie in
solchen Fällen üblich, eigentlich an kaum etwas erinnern konnte), was sich auf das Urteil
hatte auswirken können. Kurz zuvor war seine Frau Pfarrerin geworden, die ihm sicherlich
seine Sünden verziehen hat. Allerdings ist sie 2001 aus der Episkopalkirche ausgetreten
und zu den Katholiken gewechselt, weil es hier eine gefestigtere Autorität
gebe.
Nach seiner Entlassung aus dem Militär gründete Poindexter bis 1996 verschiedene
Firmen und wurde schließlich Vizepräsident von Syntek Technologies, um dann wieder im
Februar 2002 zum Pentagon zurückzukehren. Ari Fleischer, der Pressesprecher des
Weißen Hauses, meinte im Februar jedenfalls, Bush habe ihn
berufen, weil er ein "herausragender Amerikaner und Bürger ist, der eine sehr gute Arbeit
für unser Land während seiner Militärzeit geleistet hat". In
Poindexters Biografie liest man natürlich über die dunklen Seiten
nichts. Er habe den »demokratischen Widerstand in Nicaragua unterstützt«, wird bzw.
wurde dem Leser scheinheilig versichert. Verantwortlich sei er für die "Rationalisierung
der Beziehungen der USA zum strategisch wichtigen Iran" gewesen. Ansonsten habe er
auch bei so ruhmreichen Aktionen der US-Regierung zur nationalen Sicherheit wie der
Bombardierung Libyens, dem Angriff auf Grenada oder im Fall Achillo Lauro (
Uncle Sam und der Predator) eine wichtige Rolle gespielt. Poindexter
empfiehlt sich selbst so:
"Er bringt eine einzigartige Verbindung von Kenntnissen von Problemen von den
höchsten Ebenen der Regierung bis zum Laboratrium. Er hat herausragende
Management- und Kommandofähigkeiten von Navy-Operationen bis zur nationalen
Sicherheit der USA gezeigt. Bekannt ist er für kreative Lösungen schwieriger
Probleme und für die Fähigkeit, schnell den Kern neuer Aufgaben zu erfassen.
Zielorientiert."
Wohl noch im Schwung der landesweiten Unterstützung für den Antiterrorkampf und der
allgemeinen Vergesslichkeit gab man neben dem kreativen Leiter auch das geplante
Projekt bekannt ( Das Orakel der DARPA). Einzelheiten fand man auf
dem Website der Darpa. Erst einmal ging die Berufung und das Projekt unter, doch als
dann die New York Times Anfang November darüber berichtete,
fanden Projektleiter und Projekt plötzlich weltweite Aufmerksamkeit. Zudem kehrten
Kritiker das Überwachungsprogramm nun auch schon einmal ansatzweise gegen seine
Betreiber um ( Totale Überwachung). Die hatten nämlich ihre zuvor
auf der Darpa-Website veröffentlichten biografischen Angaben klammheimlich im Laufe
des November wieder vom Netz genommen. Genutzt hat dies allerdings nichts, denn
schnell hatte sie Richard Smith noch aus dem Google-Cache holen und wieder auf seiner
Website veröffentlichen können.
Satellitenfoto von
Poindexters Wohnviertel
Die vier Biografien der Leiter des IAO enthielten allerdings keine näheren Angaben. Das
zu ergänzen wurde nun das Ziel einiger anderer Aktivisten. Matt Smith machte in der
SF Weekly den Anfang und gab Ende November die Adresse und
private Telefonnummer von Poindexter bekannt: "Optimistically, I dialed John and Linda
Poindexter's number -- (301) 424-6613 -- at their home at 10 Barrington Fare in
Rockville, Md., hoping the good admiral and excused criminal might be able to offer some
insight." Darüberhinaus gab er auch die Adressen und Telefonnummer der Nachbarn von
Poindexters an, weil man ja von diesen auch etwas erfahren könne. Angeblich sei
Poindexters Haus 269,700 US-Dollar wert, und er fragt, ob ein Donald Douglas
Poindexter, der in Maryland als Sexualstraftäter geführt wird, etwas mit dem ehemaligen
General zu tun habe.
Natürlich wurden die Informationen über Poindexter auf vielen anderen Webseiten
gespiegelt. Auch John Gilmore von der Electronic Frontier Foundation (
EFF) mischte sich ein und machte darauf aufmerksam, wie viele
Informationen über einzelne Menschen sich heute schon sammeln lassen. Mit dem
geplanten System von Poindexter, das alle Datenbanken kombinieren will, könnten leicht
auch politische Gegner verfolgt und diskriminiert werden. Gilmore rief dazu auf, schon
jetzt der Öffentlichkeit an Beispielen klar zu machen, wie schlimm das Leben für mögliche
»verdächtige« Opfer werden könnte, die plötzlich aus unerfindlichen Gründen einfach auch
nur Schwierigkeiten bekommen oder vor verschlossenen Türen stehen könnten. Ohne
explizit zu werden, könnte die Aufforderung so verstanden werden, zur Abschreckung nun
einmal alle erhältlichen Informationen über Poindexter zusammen zu tragen. Auch wenn
manche Angaben falsch seien, könne das zur Warnung vor dem geplanten System erhellend
sein. Auf Cryptome wurden schon einmal Satellitenaufnahmen
veröffentlicht, die zeigen, wo Poindexters wohnen.
Ein solches Projekt ist beispielsweise The John Poindexter Awareness Office (
JPAO). Auch hier will man alle Informationen über das persönliche
Leben, die Einkäufe, Beziehungen, Freizeitinteressen, Lesegewohnheiten und Reisen eines
jeden Angestellten der Darpa im »Interesse der nationalen Sicherheit« erhalten. Die
Internetbenutzer werden aufgefordert, da man nicht über die Kapazitäten des Pentagon
verfüge, Informationen über die Leiter des IAO mitzuteilen, die dann veröffentlicht
werden. Man habe allerdings Abstand genommen, die Sozialversicherungsnummer und
Bilder von Familienangehörigen auf die Website zu stellen, weil man nicht dazu beitragen
wolle, dass Poindexter und seiner Familie etwas angetan werde. Die Informationen, die
bislang abgegeben wurden, sind allerdings weitgehend Nonsense. Bei
Warblogging wird dazu aufgerufen, die bereits ausführliche
Biografie von Poindexter mit weiteren Informationen zu ergänzen.
Obgleich also die Aufklärung über Poindexter nicht besonders effektiv war, sind
mittlerweile nicht nur die Biografien, sondern auch das ominöse Logo von Poindexters
Information Awareness Office von der Website verschwunden. Das hatte wohl nicht
gerade zur Beruhigung der Kritiker beigetragen, die sich auch durch Verteidigungsminister
Rumsfelds halbherzige Beschwichtigungen nicht ablenken ließen (
Weltweites Schnüffelsystem). Tatsächlich ließ das Logo mit dem Auge
Gottes auf der Pyramide und dem Motto »Wissen ist Macht« nicht nur Assoziationen zu
Geheimbünden aufkommen, sondern demonstrierte auch die Maßlosigkeit des Wunsches
nach »totaler Informationsmacht«. Poindexter hat da wohl daneben gegriffen und zugleich
seine kreative Orientierung für zielorientierte Problemlösung entlarvt.
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last modified: 22.12.2002
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