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(Copyright: Sibylle Berg, www.sibylleberg.ch;
Auszug aus ihrem neuen Buch, noch unveröffentlicht)
Keiner glaubte mehr an Wunder. Das war gelaufen. Ab 40 glaubt keiner mehr an etwas das von außen kam, von Gott, vom Himmel, von Außerirdischen. Das ihm etwas besonderes zustünde - ein großes Leben oder die große Liebe. Daran glaubte doch keiner mehr. Außerdem ging gerade die Welt unter, Terroranschläge und Kriege und in Urlaub traute sich keiner mehr, alles aus den Fugen, Sicherheit gab es nicht und trotzig gegen das Leben, die Lebensmitte an heirateten sie, und bauten Häuser und machten Kinder. Alle die sie kannte, über 40. Und sie war allein übergeblieben, in ihrer Studentenbude, die Letzte die sich wehrte erwachsen zu werden, wie erbärmlich das war. Bis vor kurzem war sie gerne allein gewesen. Es gab ja Freunde, die zur Not zur Verfügung gestanden hätten, wollte sie mal nicht allein sein. Für eine Städtereise, einen Kinoabend zum Stundenlangen reden am Telefon aus dem Bett heraus, gab es immer einen aber - die hatten jetzt alle Kinder und Häuser, die Scheissfreunde und hatten erreicht, was sie erreichen wollten, oder waren gescheitert und hatten sich damit eingerichtet oder hatten Krebs. Auf einmal merkte sie, das sie noch nicht einmal mehr von irgendwem in Ruhe gelassen wurde. DA WAR KEINER MEHR. Und sie auf dem besten Weg eine dieser Frauen zu werden, die immer sagten: Man muss doch positiv denken, die ein künstliches Dauerlächeln im Gesicht hatten, sich so extra gerade hielten und die Haare offen trugen und Arche Schuhe, weil die so bequem und irgendwie witzig waren, und die zu Lesungen gingen und sehr sehr gerne alleine lebten. Alleine leben ist Dreck. Das bekommt keinem. Ab 40 sollte keiner mehr alleine wohnen, denn dann wird man wunderlich. Beginnt leere Pizzaschachteln zu sammeln, Vogelspinnen zu züchten oder die Bäume mit kleinen Metallschildern vollzuhängen wie der Freak der auf dem Monte Verita gewohnt hatte. Nackig im Wald rumtigern und Bäume beschriften. Ab 40 oder mehr oder weniger, sollte man mit einem Mann, einer Frau, einem Kind, einer Oma mit irgendwem halt wohnen, der einem klar machte, das man selber nichts Spezielles war. Ein Kind, eine Oma oder eine Freundin die nicht gerade ein Haus gebaut oder ein Kind bekommen hätte gab es nicht. Also musste ein Mann her. Einfach, damit sie nicht auf die Idee kam Arche Schuhe zu tragen und Porzellanpierrots zu sammeln. Das es die große Liebe nicht gab, also, einen Menschen mit dem man sich unglaublich gut verstand UND sexuell verkehrte, glaubte sie inzwischen auch. Alle, die in langen Liebesgeschichten lebten, hatten ihr das Geheimnis verraten: Man muss durchhalten, muss sich arrangieren, darf nicht zuviel erwarten, muss viele Bedürfnisse mit anderen abdecken, muss versuchen eine familiäre Nähe zu entwickeln, muss die ersten Jahre viele Missverständnisse ertragen. Sie wahr ein verwöhntes Produkt der kapitalistischen Wegwerfgesellschaft. Hatte alles gewollt und verloren. Dann hatte sie Bernd kennengelernt. Der war so wie sein Name. Absoluter Durchschnitt und wenn sie ehrlich war, war er wie sie. Ein Mann im schlechtesten Alter der nicht mehr an Wunder glaubte. Sie war nicht verliebt in ihn. Er nicht in sie. Aber Männer waren da eh anders. Sie wollten am Anfang Sex und die Liebe stellte sich bei ihnen als Nebenprodukt angenehmer Gewohnheit ein. Sie nahm sich vor mit Bernd eine BEZIEHUNG zu führen. Sie ignorierte alles was sie an ihm nicht mochte. Das er sie ein wenig langweilte und ihr seine Trikotagen nicht gefielen, das er sie nicht entzündete und nichts von dem mochte was ihr bis dahin wichtig schien. Aber fuck-wen interessierten schon Kino und Kunst und Filme und Bücher und Musik. Das waren Hintergrundgeräusche. Sie kleidete Bernd neu ein, schenkte ihm ein neues Parfüm, und weil sie nicht verliebt war, hielt er es auch aus mit ihr. Sie war so wenig hysterisch und zickig und Bernd begann sich wohl zu fühlen und sie war froh, das sie nicht mehr alleine war, wenn wieder eine Freundin ihr erstes Kind bekam, mit 42. Bernd wohnte nicht in ihrer Stadt, sie sahen sich am Wochenende und sie begann sich an ihn zu gewöhnen. Es war eigentlich wunderbar, keine Angst vor einem Mann zu haben, dachte sie. Sie ging mit Nachtcreme und Lockenwicklern zu Bett, wenn er da war, sie machte was sie wollte und Bernd hatte für alles Verständnis, weil es ihm egal war. Je länger sie mit Bernd zusammen war, um so mehr glaubte sie, es herausgefunden zu haben, das Geheimnis der großen Liebe: Es war, nicht verliebt zu sein. Es war, jemanden langsam kennenzulernen und es war: ES ZU WOLLEN.
Wenn sie Bernd abstoßend fand, ihn hasste, wie er kaute und was er sagte und wie er lief und wie er roch, dann half es, ihn sich als Baby vorzustellen. Bernd war klein gewesen, eine Mutter hatte ihn geliebt und ernährt, Bernd hatte von etwas Großem geträumt, als er älter war, und wurde vom Leben enttäuscht, wie alle. Das genügte meist, das sie ihn liebevoll am Kopf kraulte, und hielt, als wäre er ihr Baby. Sie begann sich einzurichten. Endlich machte sie Frieden mit ihrem Alter, sie kaufte sich ein ordentliches Bett, trug keine bauchfreien Oberteile mehr und auch die nachlassende Spannkraft ihrer Haut war ihr fast egal. Sie schaute sich einfach nicht mehr im Spiegel an. Sie begann Bernd : meinen Mann zu nennen, und wollte ihn gerne heiraten. Vielleicht, um es zu fixieren, sich zu fixieren, sich endgültig einzurichten. Es ist so gut, das ich über dieses alberne Thema nicht mehr nachdenken musste, sagte sie ungefragt zu Bekannten, und berichtete jemand von einer großen Verliebtheit, verdrehte sie die Augen und die Knie schliefen ihr ein vor Langeweile. Sie hatte herausgefunden worum es ging: Das Leben möglichst angenehm herumbringen. So einfach. Das man die Wahrheit fast übersah, weil man immer nach etwas Großem, Komplizierten suchte. Und dann waren sie auf die Insel gefahren. In den zwei Jahren mit Bernd, hatte sie immer vermieden mit ihm in Urlaub zu fahren. Bernd am Wochenende, wo man lange im Bett blieb, dann ins Kino ging , was essen ging, irgendwohin ging, wo andere Leute waren, wo es etwas gab, über das sie später reden konnten, kein Problem. Aber wozu sollte ein Urlaub gut sein? Wer brauchte heute überhaupt noch Urlaub, da kaum einer mehr eine anstrengende Arbeit hatte und die Schweiz ein Land war, das für viele das Traumurlaubsland war. Was sollte man wohin fahren, stundenlang fliegen um sich auf Stränden Fremder Leute rumzulümmeln, sich von schlechtbezahlten Angestellten hassen zu lassen und in überteuerten Jeeps in zu großer Hitze tröpfelnde Wasserfälle besichtigen. Bernd hatte sich durchgesetzt, Zum ersten Mal. Sie flogen dann Stundenlang, kamen auf einer Insel der dritten Welt an, da stand der gemietete Jeep bereit. Sie hatten so einen Luxusbungalow gemietet mit Whirlpool und Meeranstoss. Das Doppelbett war in ein Moskitonetz gehüllt und Rosenblüten waren auf dem Boden verstreut. Sehr nett. Ein paar Tage war es sehr nett. Sie machten Ausflüge, den Angestellten merkte man ihren Hass kaum an, das Gelände des Hotels war streng bewacht, mit Terroranschlägen nicht zu rechnen, sie besichtigten Wasserfälle und wieder einmal fiel ihr auf, wie angenehm sie mit Bernd schweigen konnte. Es setzte sie überhaupt nicht unter Druck, das ihr nichts zum sagen einfiel, in seiner Anwesenheit. Sie zogen sich abends weiße Sachen an und assen schweigend in teuren Restaurants mit Meerblick Zeug. Sie kauften in kleinen Boutiquen Sachen, die sie daheim nie wieder tragen würden. Einmal nachts gingen sie in den Whirlpool. Sie stand da, wie sie dachte, das man in einem Film jetzt stehen würde, auf einer Insel am Whirlpool mit dem Geliebten. Sie stand wie eine Statue, bis sie dachte, sie würde sich nie mehr bewegen können. Sie wollte sich nie wieder bewegen. Noch nicht einmal Tränen hatte sie.
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