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Mein Name ist Rana, und ich möchte meine Geschichte teilen, aber ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen soll. Vielleicht, weil ich mich immer noch selbst davon zu überzeugen versuche, dass er auf einer langen Reise ist, dass er zu mir zurückkommen wird. Gleichzeitig wusste ich, anders als andere, die Hussein liebten, dass ich keine Ruhe finden würde ohne genau zu wissen, was passiert ist. Während seine Eltern trauern wollten, wollte ich verstehen. Die Details waren wichtig, weil ich fühlte, dass sie mir helfen würden, damit fertig zu werden, und ich möchte es auch meinen Kindern erklären können, wenn sie älter sind. Sie verdienen es, zu wissen, wie ihr Vater starb. Und noch wichtiger verdienen sie, zu wissen, was für ein Leben ihr Vater wählte. Ihr Vater war ein Mann mit Einsatz, Prinzipien, Wärme und einer unendlichen Liebe; ein Mann, der dafür lebte, seine Eltern stolz zu machen, seine Frau zu lieben und für seine Kinder zu sorgen. Für viele mag er ein typischer Iraker aus Bagdad gewesen sein – aber für mich war er mein Leben.
Die Tragödie passierte inmitten eines der glücklichsten Momente für die Familie. Mein jüngerer Bruder sollte in Jordanien heiraten, und wir planten diese Feier bereits seit Monaten. Hussein und ich würden von dem Tag träumen, an dem unsere eigenen drei Kinder heiraten würden, und wir würden stundenlang zusammen sitzen und planen, was die Zukunft für uns bereit hielte. Aber obwohl ich sehr aufgeregt war, warnte mich mein Herz die ganze Zeit über. Angesichts all dessen, was wir im Irak durchmachen, schien sogar das Gefühl des Glücks erstickend. Und tatsächlich bekamen wir keine Chance, zu feiern. In einem kurzen Moment war jegliche Freude verpufft. Der Traum von einer Zukunft starb angesichts der brutalen Realität im Hier und Jetzt.
Das letzte, was ich von meinem Mann hörte, war eine SMS, die er mir um die Mittagszeit schickte, „ich vermisse dich“. Später fand ich heraus, dass er eine Stunde, nachdem er die SMS geschickt hatte, in ein Gebiet am Rand von Bagdad fuhr, das Tarmiah heißt, und als gewalttätiges Viertel, vor allem gegen die SchiitInnen, bekannt ist. Hussein wollte auf die Bank gehen, um Geld abzuheben. Er hatte keine Angst, weil er seit mehr als einem Jahrzehnt in diesem Viertel und mit dieser Bank arbeitete. Einen Tag bevor er das Geld abheben wollte, sagte der Kassenbeamte zu ihm, er solle nach einem Tag wiederkommen, weil nicht genug Geld im Safe wäre. Das war der erste Verrat. Hussein kam also am nächsten Tag zur selben Zeit und hob einen größeren Geldbetrag ab. Zehn Minuten später war er von drei Autos umringt voll mit bewaffneten Räubern. Es kam zum Kampf, und Hussein und seine drei loyalen Mitarbeiter kämpften um ihr Leben. Während des Kampfes wurden drei der Räuber getötet, und es ist nichts anderes als ein Wunder, dass er es schaffte, zu entkommen und in die lokale Polizeistation zu fliehen.
Er rief seine Verwandten an und sagte ihnen, dass er angeschossen wurde aber bei der Polizei in Sicherheit sei. Seine Cousins reagierten sofort und versuchten zur Polizeistation zu kommen, um ihn in Sicherheit zu bringen. Aber die Straße war blockiert und die US-Truppen ließen sie nicht durch. Das war der zweite Verrat, denn obwohl Hussein immer für alle anderen da war, fand er sich in dieser Notsituation alleine und ohne Verstärkung. Die US-Truppen erlaubten ihnen die Durchfahrt nicht. Die Polizei überzeugte ihn, dass sie ihn zum Checkpoint bringen würden, in Sicherheit. Hussein stimmte zu – und damit begann der dritte Verrat. Obwohl ihm die Polizei Schutz versprach, gaben sie ihm keinen und sie lieferten ihn und seine Freunde direkt der Gang aus. Die eröffnete das Feuer auf sein Auto, und töteten alle Insassen. Hussein wurde mit mehr als zehn Kugeln im Körper gefunden. Nachdem sie ihn umgebracht hatten, banden sie seinen Körper am Auto fest und schleiften ihn durch die Straße.
Die Details waren so wichtig für mich. Den Ehemann zu verlieren ist immer schwer. Aber den Mann in so jungem Alter zu verlieren ist noch schwerer. Er starb zwölf Tage nach seinem 32. Geburtstag. Es war der einzige Geburtstag in den zehn Jahren unserer Ehe, den ich nicht mit ihm feiern konnte. Ihn überdies zu verlieren durch Mord und Verrat ist mehr, als irgendjemand ertragen könnte. Und dennoch, meine drei Kinder geben mir die Kraft, weiterzumachen. Der Jüngste ist vier Monate alt, und wird niemals den besonderen Charakter seines Vaters aus erster Hand kennen lernen. Es ist erstaunlich für mich, dass alle drei ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten sind. Als ob Gott die teure Erinnerung an meinen Mann durch seine Kinder bewahren wollte.
Unsere Tragödie und die Zeit der Angst sind noch nicht vorüber. Die Räuber waren Leute, die wir kannten, Leute, die einst mit Hussein auf seiner Farm frühstückten. Sie gehören zu einem wohlbekannten Stamm in dem Gebiet, und ihre Verwegenheit endete nicht mit dem Mord an meinem Mann. Jetzt verlangen sie das Leben von 30 Leuten aus Husseins Stamm – 10 für jeden der drei im Kampf zu Tode gekommenen Räuber. Zusätzlich dazu, dass ich versuche, mit dem Verlust fertig zu werden, fürchte ich nun auch noch um das Leben meiner Kinder. Ich weiß, dass ich nur eine von vielen Witwen im Irak bin, die ein Leben zwischen Schmerz und Angst lebt.
Ein Trost während dieser Zeit der Trauer sind für mich die Unterstützungs-Angebote. Er war bekannt dafür, zu geben ohne Fragen zu stellen, und die Tatsache, dass er auf so brutale und tragische Weise zu Tode kam, machte einen Märtyrer aus ihm. Ich weiß, dass er im Himmel ist, und fühle seine Wärme immer noch an meiner Seite. Sogar der Augenblick seines Todes war ein Beweis dafür, wiesehr er geliebt wurde. Als die Mörder das Auto umzingelt hatten und das Feuer eröffneten, warf sich sein treuer Mitarbeiter vor ihn um ihn vor den Kugeln zu schützen. Zumindest war er in seinem letzten Moment in den Armen von jemandem, der ihn sosehr liebte, dass er sein Leben für ihn hingeben wollte.
Ich glaube nicht, dass irgendjemand jemals verstehen kann, was ich fühle. Neben der überwältigenden Trauer ist ein Zorn, der auf alle gerichtet ist. Ich bin zornig auf Hussein, weil er so naiv und idealistisch war, dass er die Zeichen nicht gesehen hat. Ich bin zornig auf die IrakerInnen, weil sie zulassen, von dieser sinnlosen Gewalt umgeben zu sein. Ich bin zornig auf mich selber, weil ich in seinen letzten Lebenstagen nicht an seiner Seite war. Ich bewege mich wie betäubt; das einzige, an das ich denken kann, sind meine Kinder. Wie kann ich nur die Stärke gewinnen, um die Art von Mutter und Vater für sie zu sein, die sie brauchen werden? Wie kann ich sie vor dieser grausamen und herzlosen Welt beschützen? Wie werde ich Husseins letzte Wünsche auf eine bessere Zukunft für sie erfüllen können?
Wenn ich irgendetwas aus dieser Sache gelernt habe, dann das, dass ich mich auf mich verlassen muss. Das einzige, auf das ich zählen kann, ist seine endlose Liebe, die mich noch von seinem Grab erreicht – sie wird mir die innere Stärke und den Anstoß geben, um weiterzumachen.
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