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Der tod gehört halt zum leben
Kann man überhaupt etwas dazu sagen? der tod gehört halt zum leben, diese erfahrung haben wohl die meisten gemacht. ich dachte seit wenigen jahren, ich käme mit dem tod zurecht, könnte ihn akzeptieren und vor allem ertragen. leider hab ich mich getäuscht.
gegen ende meiner kindheit, anfang meiner jugend wurde ich zum ersten mal mit dem tod konfrontiert. »dein opa hat krebs«, hat man mir gesagt. meine großeltern waren sehr katholisch, gingen regelmäßig in die kirche, beteten vor dem Essen und haben ein rebellisches enkelkind wie mich immer aufgenommen, geliebt und mir alles ihnen mögliche gegeben. damals konnte ich nicht begreifen, warum so perfekte menschen derart bestraft werden müssen. ich habe meinen opa leiden sehen und ich habe gesehen, wie er all seinen angehörigen diesen anblick am liebsten ersparrt hätte. meiner oma konnte ich kaum noch in die augen schauen. sie war so stark, hat alles für ihn und ihre kinder und natürlich auch enkelkinder getan. ich hätte ihr so gern geholfen. aber damals saß ich apathisch im raum und habe versucht diese situation zu begreifen. bis heute weiß ich nicht, was ich für meine oma hätte tun können. mit meinem opa habe ich viel geredet, habe alles gefragt, was ich mich früher nie gewagt hätte. ich wußte, wenn du in den nächsten tagen wieder nach hause fährst, wirst du ihn nie wieder sehen. wenn ich schon darunter leide, wie geht es dann meiner oma? fällt ihr die sache aufgrund ihres glaubens einfacher? ist sie davon überzeugt, dass er es wo auch immer besser haben wird? oder verliert sie gerade ihren glauben? ich hätte sie fragen sollen. aber ich konnte nicht, mir ist nichts, einfach absolut nichts eingefallen, außer ständigen umarmungen. sie hat über 50 Jahre mit diesem Mann verbracht. wenn mit so einem ende zu rechnen ist, verzichtet man doch lieber auf die große liebe, oder nicht?
Als der tag kam, an dem ich mit meiner familie wieder nach hause musste, fühlte ich mich hilflos. wir saßen zu viert im auto und keiner hat etwas gesagt. wenige tage später erreichte uns der anruf, »opa ist tod«. Oma! war mein erster gedanke. wer meinen opa zuletzt gesehen hat, weiß, für ihn war es das beste, aber oma! mir war es nicht möglich bei der beerdigung dabei zu sein. meine eltern meinten hinterher, es sei auch besser so gewesen. von nun an musste alles wie gewohnt weitergehen. ich habe nie darüber gesprochen, unterdrückte jede Träne und wollte meinen eltern (opa war mamas papa) nicht noch mehr kummer bereiten.
ca. ein halbes jahr später kam ich nichts ahnend zum essen nach hause und meine eltern wollten mit meinem bruder und mir dringend reden. wir haben angestrengt drüber nachgedacht, von welcher unseren untugenden sie erfahren hätten. aber nein, leider haben wir nicht den fehler gemacht, uns erwischen zu lassen. meine oma ist an einem herzanfall gestorben. sie war allein zu hause, ist mitten im raum ungefallen. wenn jemand da gewesen wäre, hätte man ihr helfen können.. es war schrecklich. ich hoffe für sie nur, dass es wirklich, wirklich schnell ging. dann habe ich an meine mama gedacht. nachdem ich ihr das sagte half mir mein papa, meine eigenen emotionen raus zu lassen. ich habe bitterlich geweint und wollte nur noch raus, zu meinem damaligen freund, habe dann mit ihm gekifft und ihm alles, was ich in meinem kopf hatte erzählt, während ich einfach nur in seinem arm lag. in den nächsten tagen war ich sehr ruhig. ich suchte krampfhaft nach einem weg damit umzugehen. doch es gibt keinen richtigen weg. Ich habe mich auf ihre beerdigung gewagt. alles traurige, weinende menschen. ich einer von ihnen. hinterher dachte ich mir nur, »wie egoistisch«. meine oma war trotz unserer riesigen familie meist allein, sie ist auf jeden fall allein gestorben, jetzt ist sie laut ihres hoffentlich bestehenden glaubens bei ihrem mann. ich gönn es ihr. der tod, also der verlust eines menschen, den man liebt, der da ist, seit man denken kann, läßt sich nicht ausgleichen. aber es ist sicher nicht immer für alle schlecht. und es muss trotzdem weiter gehen. es geht immer weiter, das weiß jeder. also bin ich weiter gegangen. der tod gehört halt zum leben. meine uroma starb kurz darauf an krebs, mein großonkel auch. achja, und meine zweite uroma, sogar meine tante und mein absoluter lieblingsonkel erkrankte an mutiple sklerose und ein anderer onkel hat krebs, aber er lebt noch. hey, der tod gehört halt zum leben. so bin ich damit umgegangen. mein onkel mit multiple sklerose lebt auch noch und ihm geht es trotz der krankheit sehr gut, ich genieße jede mögliche freie zeit mit ihm und bin froh, dass ich ihn habe. ich war mir sicher, dass ich meinen weg gefunden habe, mit dem tod umzugehen. schlechte noten, eine kaputte lieblingshose, eine abfuhr von nem kerl, ein ausverkauftes konzert, etc., alles nichtigkeiten. meine werte haben sich einfach total verändert, das hat vieles einfacher gemacht, finde ich. doch dann im februar dieses jahres. ich kam zufrieden von einem sehr aufregenden und erfahrungsreichen wochenende zurück. meine familie begleitete mich ins wohnzimmer, schloß die tür hinter mir (???) und setzte sich neben mich. sie gaben mir das gefühl, die welt ginge unter, ohne nur ein wort zu sagen. »dein bruder ist tod«. er hat sich das leben genommen. um genau zu sein, hat er sich an einer stahlkette im reifenkeller seines arbeitsgebers erhangen. Stille. und ja, die welt ging in diesem moment unter. die tür war abgeschlossen, ich konnte nicht einfach rausrennen. jetzt saß ich hier gefangen zwischen einem elterpaar, das gerade seinen sohn verloren hat und einem mädchen (das die letzte zeit wie eine art kleine schwester für mich war), das gerade ihren langjährigen freund hergeben musste. wußte nichts zu tun, wollte raus, aber man hätte mich nicht allein gelassen. ich konnte nichts sagen, wollte nichts sagen. mein bruder, mein großer bruder, mein vorbild, ein kerl, wie kein anderer, so perfekt für einen menschen. ich konnte nicht weinen, obwohl die anderen um mich herum auch nichts anderes taten. aber das weinen drückte nicht meinen schmerz aus, es unterdrückte ihn. es war als hätte man mir ein stumpfes messer im herzen herumgedreht. ich dachte, ich könnte mit dem tod umgehen, aber nein, ich konnte es nicht. die trauerfeier, die beerdigung, das waren schmerzen, hilflosigkeit, wie ich es nie zuvor fühlte. ich habe all meine kraft zusammen genommen, um irgendwie für meine eltern da zu sein und das ist das einzige, was ich tun kann. mein bruder wollte sterben, er ist gestorben. ich habe ihm verziehen. es ist so egoistisch, aber er fehlt mir. gedanken an die zukunft machen mir angst. dieses ereignis hat einem teil meiner zukunft von jetzt auf gleich zu geschichte gemacht. dabei hab ich mich auf diese zukunft gefreut. nun muss ich den weg allein gehen. meine eltern sind toll und ich bin stolz und wir haben uns auch immer alle gut verstanden, aber wir führten nur so eine art wg, jeder hat seine aufgabe und wir haben gelacht und ich habe auch immer allen zugehört, aber meine bezugsperson war mein bruder, nicht meine eltern. schön, dass sie mir halt geben. danke, danke, danke und ich möchte das möglichst auch zurückgeben, aber diese lücke wird keiner mehr füllen. ich bin äußerlich noch ruhiger geworden, rede noch weniger über mich und fühle mich sehr wohl dabei. ich bin ein ernsthaft lebenslustiger mensch und lache sehr viel, doch den Alltag blende ich gerne mal aus. den tod kann ich nicht, vielleicht noch nicht, ertragen. ich gebe mir mühe und möchte mein umfeld auch nicht belasten, aber in ruhigen momenten würde ich sehr gern einfach weglaufen. einfach selbst das leben in die hand nehmen und nicht von irgendwelchen vorschriften, gesetzen oder meinungen bestimmt sein. (man darf doch mal träumen..)
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