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/ Süddeutsche Zeitung Nr. 234
XX.10.1991
Ein Porträt des Literaten, Musikkünstlers und Szenehelden Max Goldt
Hatte ich bloß die Geschichte vom »Sommerverächter« genauer gelesen. Da saß ich nun in einem bequemen Korbstuhl vor dem Berliner Café Berio und wartete und wartete. Ein schwüler Spätsommerabend, vier Straßenmusiker lärmten mit elektrisch verstärkten Instrumenten zum Vergnügen der braungebrannten und spärlich bekleideten Menschen rundum - nur von dem Mann, den ich hier zum Interview treffen wollte, keine Spur.
Aber hatte nicht der »Sommerverächter« genau diese Atmosphäre beklagt? DasElend jener Tage, an denen »sich die Leute sofort die Kleider vom Leibe reißen und es offenbar völlig normal finden, in Unterwäsche Kunden zu bedienen, Kinder zu unterrichten oder Kirchen zu besichtigen«? Stimmt, so hatte er gezetert. Weshalb Max Goldt, der Erfinder des »Sommerverächters«, natürlich nicht draußen auf der Terrasse, sondern im Innern des Cafés wartete. Dort saß er, der einzige Gast im Raum, ein wenig verloren an einem roten Plastiktisch und betrachtete mißmutig das Treiben auf der Straße. »Schrecklich, so viele Menschen - und dieser Lärm!«, sagte der Mann zur Begrüßung.
Max Goldt, Autor des Buchs »Die Radiotrinkerin« (wo er einer seiner Figuren die eigene Sommerverachtung in die Brieffeder diktierte) und seit den Zeiten der sogenannten Neuen Deutschen Welle auch ein in der nationalen Popszene anerkannter Artist, mißbilligt nicht selten die Vergnügungen der Massen. In »Onkel Max' Kulturtagebuch«, das Goldt nun schon seit vielen Monaten in der Zeitschrift Titanic veröffentlicht, lesen wir beispielsweise Sätze wie diese: »Sekt hat sich ja im vergangenen Jahr zum Gammlergetränk Nr. 1 gemausert. So sind sie halt, die Proleten, sie können nur anderen alles wegnehmen: der Boheme haben sie das Sekttrinken weggenommen, den Linken die langen Haare und das Graffitischmieren, den Schwulen haben sie die Ohrringe abgeguckt und den Ökos das Radfahren. Eigenes bringt diese Kaste nicht mehr hervor.«
Im Café haben wir dann natürlich keinen Sekt getrunken, sondern ganz normales Bier. Und wir haben über jene Zeit vor zehn Jahren geredet, als Max Goldt gemeinsam mit seinem Partner Gerd Parsemann unter dem Namen Foyer des Arts schöne Lacherfolge feierte. Etwa mit dem Song »Wissenswertes über Erlangen«, der mit dem denkwürdigen Vers begann:
»Merken Sie sich eines: Erlangen liegt nicht im Sauerland«.
Auch wenn Goldt heute diese Schaffensphase als »unwichtig« abtut: Damals, 1981, nahm seine Karriere als humoristisch begabter Szeneheld des deutschen Kulturbetriebs seinen Anfang.
Neben einem halben Dutzend Platten (im Duett und als Solokünstler), auf denen sein Sprechgesang mit Synthesizerklängen und elektronischen Beats unterlegt ist, hat Max Goldt dann auch angefangen, Bücher zu veröffentlichen. »Mein schwer erziehbarer schwuler Schwager aus der Schweiz« kam 1984 bei einem kleinen Berliner Verlag heraus, »Ungeduscht, geduzt und ausgebuht« vier Jahre später ebendort. Weil aber diese Bücher ziemlich billig produziert waren und infolgedessen in der Hand der Leser bald zu Loseblattsammlungen auseinanderfielen, hat der Züricher Haffmans-Verlag nun Max Goldts beste Geschichten noch mal in dem Band »Die Radiotrinkerin« aufgelegt.
Im Vorwort dieses Buchs rühmt der Großsatiriker Robert Gernhardt den Autor Goldt und »die irritierenden Qualitäten seiner irrlichternden Komik«. Tatsächlich zeigt Max Goldt hier (wie in seinem Titanic-Kulturtagebuch sowieso) ein staunenswertes Talent fürs lakonische Nacherzählen absurder Stories aus dem Alltag der intellektuellen, in Berliner Alt-Bauwohnungen hausenden Boheme der Jetztzeit.
Es geht um so banale Dinge wie ein Frühstück, dessen Gesellschafter auf einem Gerüst vor dem Fenster herumturnen: »Hob ich beim Frühstück meine Tasse, prosteten mir Bauarbeiter von draußen mit Bierflaschen zu ... Das gefiel mir gar nicht schlecht, denn meine Art, das leckere Frühstück einzunehmen, ist betrachtenswert.« Oder Goldt erzählt von einer ganz gewöhnlichen, bürgerlichsituierten Frau, die sich regelmäßig und anonym im Rundfunkstudio vor eingeschaltetem Mikrophon betrinkt - und damit unerwartete Zuhörerbegeisterung erzielt (die »Radiotrinkerin« der Titelstory).
Max Goldt ist ein Virtuose der abgefeimten Zurückhaltung, und seine Geschichtenerzählt er in einem scheinbar naiven Plauderton. »Ich bin kein Satiriker«,beteuert er, »aber man kann sehr traurige Texte schreiben, und wenn nur eine Pointe drin ist, sagen die Leute gleich: so was von witzig!«
Wie es sich nach alter Überlieferung für einen zum Komischen begabten Menschen gehört, begegnet Max Goldt dem Besucher mit melancholischem Ernst und unter strengster Vermeidung jeglicher Ironie. Interviews gebe er eigentlich grundsätzlich nicht, sagt er, einmal aber sei er als Gast in einer Fernsehtalkshow rumgesessen. Schrecklich sei's gewesen, ein dummes Durcheinanderreden; der Beweis, daß das Fernsehen »nun mal der Ort ist, wo die Zweit- und Drittbesten miteinander wetteifern«.
Max Goldt, vor 33 Jahren in Göttingen geboren und seit 1977 Berliner, »weil man ja irgendwo leben muß«, zerknittert die Stirnfalten unterm gepflegten blonden Haarschopf verachtungsvoll. Langsam redet er sich in Rage. Er will nicht Zweitbester, sondern der Beste sein. Goldt ist ein Perfektionist, ein Tüftler, der nicht ruht, bis er für eine Idee den bestmöglichen Ausdruck gefunden hat.
»Ich hab zwar mal angekündigt, daß ich mit vierzig meinen ersten Roman schreibe«, sagt er, »aber ich will erst mal die kleine Form perfekt hinkriegen.«
An seinen Chansons bastelt er mit ähnlicher Detailwut; deren Texte sind nicht nur »völlig eigengeistig«, wie der Meister stolz sagt, sondern auch ziemlich eigenwillig: »Wenn es Sie mal am Knie friert, und Ihr Hamster ständig Brecht zitiert, tun Sie Senf drauf. Einfach Senf drauf«, heißt es etwa auf dem Soloalbum mit dem Goldt-typischen Titel »Die majestätische Ruhe des Anorganischen«.
Während seine Platten, wenngleich allesamt skurrile Geniestreiche, in den vergangenen Jahren eher in abnehmendem Maße Beachtung fanden, mehrte sich der Ruhm des Literaten Max Goldt schier unaufhörlich. Und dies, ohne daß die großen Feuilletons seine Werke rezensiert hatten: »Das lief vor allem über Mundpropaganda«, sagt der Poet. Seine Lesungen sind berüchtigte Humorexzesse, die in überfüllten Sälen über die Bühne gehen. Im Berliner »Quartier« waren es jüngst 600, in Hannover 500 Menschen, die als Zuhörer erschienen, auch im Münchner »Stadtcafé« trampelten sich die Zuhörer gegenseitig auf den Füßen herum.
Max Goldt, der Ästhet, findet derartigen Trubel nicht selten »furchtbar«. Zum einen, weil er sich auch weiterhin vor allem als Musiker begreift, zum anderen, weil »die Leute sich oft nur noch selber feiern«. Zu Max-Goldt-Lesungen geht man mitunter wie zu einer besonders schicken Party. Lieber als an irgendwelchen Szenetreffpunkten würde der Dichter deshalb im Theater vorlesen - »aber das kommt wohl ohnehin irgendwann, wenn ich älter werde«. Fürs ganz reale Theater hat Max Goldt übrigens im Vorjahr das ziemlich anstößige Stück »Kafkas Dick« von Alan Bennett übersetzt, die deutschsprachige Erstaufführung wurde im Vorjahr irgendwo in Wien auf die Bretter gewuchtet. »Aber Theater fände ich eigentlich nur interessant«, sagt der Künstler wiederum ganz ohne Ironie, »wenn ich das Geschriebene selber spielen und inszenieren könnte. Ich würde das sicher besser auf die Bühne bringen als jeder Berufsregisseur oder Schauspieler.«
Irgendwann kommen wir dann auf ein Gesprächsthema, bei dem sich Max Goldt wieder aufs trefflichste erregen kann: Er ist nicht nur ein Sommerfeind, sondern auch ein entschiedener Autoverächter. »Kein Mensch braucht ein Auto«, doziert er, alles andere sei »asoziales Geschwafel«. Max Goldt fährt lieber Eisenbahn oder Fahrrad (auch Flugzeuge verabscheut er), er sei, was seine sorgsam zusammengestellte Garderobe mit Erfolg verbirgt, »eigentlich ein Öko«. Nachdem alle Argumente aufgebraucht sind, darf sich der autofahrende Besucher eine Schweigeminute lang seinen Schuldgefühlen hingeben. Plötzlich aber sagt Max Goldt: »Auch ich kenne einige Autofahrer persönlich. Mit manchen bin ich sogar befreundet.«
Die Süddeutsche Zeitung Nr. 234 aus 10.1991 Seite 14
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