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wuming schrieb am 30.4. 2003 um 23:48:41 Uhr über

Störung

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Jeder Mensch ein Saboteur
oder eine kleine Kunstgeschichte der Sabotage
von Justin Hoffmann


Sollen wir mit den Futuristen anfangen, die unliebsame Kunstkritiker verprügelten, um eine Geschichte der Sabotage in der
Kunst zu schreiben? Wohl kaum, denn das Schlagen der Journalisten nach Verrissen sahen die futuristischen Hooligans nicht
als künstlerische Tat an. Trotzdem ist bereits hier ein Grundzug der Sabotage zu erkennen, der auch in den Arbeiten von
Robert Jelinek immer wieder auftaucht: die vehemente Störung eines kommunikativen Zusammenhangs.

Für den Beginn einer Kunstgeschichte der Sabotage paßt schon besser der Berliner »Oberdada« Johannes Baader, der durch
seine subversiven Proklamationen Festveranstaltungen aller Art zu stören wußte. Hatte er doch den Gläubigen im Berliner
Dom, die sich zum Anlaß der Wiedereröffnung des Gotteshauses nach der Novemberrevolution versammelt hatten, auf der
Kanzel entgegengerufen: »Jesus Christus ist euch wurschtZu einem weiteren Tumult kam es, als Baader, der sich als nichts
Geringeres als den Präsident des Erd- und [!] Weltballs bezeichnete, am 16. Juli 1919 die Flugblätter "Dadaisten gegen
Weimar» über die gerade zusammengekommene Nationalversammlung abwarf und darin drohte: «Wir werden Weimar in die
Luft sprengen." Außerdem forderte er öffentlich alle fünf Nobelpreise für sich und verkündete in der Zeitung seinen frühen
Tod. Mit der Erklärung einer neuen Zeitrechnung wollte Johannes Baader nicht nur allgemein Verwirrung stiften, sondern
auch ein Zeichen für eine neue (seine) Herrschaft setzen, die 1919 mit dem »Jahr 1 des Weltfriedes« beginnen sollte.

Im »Jahr 44 des Weltfriedes« oder konventionell ausgedrückt im Jahr 1963 erschienen im internen Informationsblatt "Fluxus
News-Policy Letter», Nummer 6, der Fluxus-Bewegung eine Reihe von Vorschlägen für Sabotagen, die dort als «Propaganda
through sabotage & disruption" bezeichnet wurden. Ein Plan sah die Blockade von Tunneln und Brücken durch Lastwägen
und PKWs vor, die mit Fluxus-Postern verkleidet waren. Ein Verkehrschaos sollte so New York lahmlegen. Eine andere
Idee bestand in der Verteilung einer Fake-Ausgabe der New York Times, die neben fingierten Nachrichten, wie die
Schließung bekannter Museen, Aufrufe der Fluxus-Gruppe enthielt. Oder sie wollten die Briefkästen mit Tausenden von
Paketen und anderen großen Gegenständen verstopfen. Neben der Störung des Transportwesens und des
Kommunikationssystems versuchten die Fluxus-Leute auch den Kunstbetrieb zu attackieren. Klassische Konzerte sollten
durch Rauch- oder Stinkbomben unterbrochen oder Ausstellungseröffnungen durch Anlieferungen von Tischen, Palmen,
Ziegeln etc. sabotiert werden, die Fluxus-Künstler zuvor per Telefon von Firmen geordert hatten. Außerdem wurde
vorgeschlagen, Luftballone von Hochhäusern abzuwerfen, die z.B. Robert Watts »falsche« Dollarscheine oder
Fluxus-Manifeste enthalten sollten. Zu echten Störaktionen kam es aber zunächst in eigener Sache, als Fluxus-Mitglieder
bzw. -Sympathisanten (Nam June Paik, Al Hansen, Mary Bauermeister, Allan Kaprow) an einer Aufführung des Karlheinz
Stockhausen-Stückes »Originale« in New York teilnahmen. Für George Macunias, Henry Flynt, Saito und anderen
widersprach die Mitwirkung an dem Stück des arrivierten Komponisten den antibürgerlichen, kulturellen und sozialen
Zielen der Bewegung. Letztere stellten aus Protest Streikposten vor dem Aufführungsort, der Judson Hall, auf, warfen
Stinkbomben in den Konzertsaal, löschten Tonbänder, stellten zeitweise den Strom ab und fesselten Paik vor einer
Aufführung. Diese Aktionen führten schließlich zur Spaltung der Bewegung. Nach 1964 kann deswegen nicht mehr von einer
homogenen Gruppe gesprochen werden. Der Begriff »Fluxus« wurde von nun an inflationär und uneinheitlich gebraucht.

Von Anfang an stärker politisch motiviert zeigte sich das Kollektiv »Subversive Aktion« in Deutschland. Dieter Kunzelmann,
Mitglied der Münchner Künstlergruppe »Spur« und der »Situationisten«, gründete es zusammen mit Marion Steffel-Stergar,
Peter Pusch und Frank Böckelmann im Jahr 1963. Bald weitete sich die Organisation auf Stückpunkte in ganz Deutschland
(München, Berlin, Tübingen, Stuttgart und Frankfurt) aus. Die Aktivisten Rudi Dutschke und Bernd Rabehl schlossen sich an.
Zu den ersten wichtigen Vorhaben der "Subversiven Aktion2 zählte die massive Störung der documenta 3 im Jahr 1964. Das
Küchenpersonal sollte mit Mitgliedern der Gruppe durchsetzt werden, um den Anwesenden auf der Eröffnung Abführmittel
oder Drogen ins Essen zu schmuggeln. Oder man wollte durch das Verteilen von falschen Freikarten an Oberschulen für eine
Überfüllung der Vernissage sorgen. Eine andere Sabotageidee bestand darin, Herstellerfirmen (vor allem von Eßwaren)
anzuschreiben, um sie um die Verteilung von Kostproben auf der Eröffnung zu bitten. Nicht nur geplant, sondern tatsächlich
realisiert wurde 1964 die Störung der Jahrestagung des Bundes deutscher Werbeleiter und Werbeberater in der Stuttgarter
Liederhalle, einer Organisation, die für die »Subversive Aktion« in einem besonderen Maße die Verknüpfung von Kapital
und Ästhetik repräsentierte. Nach dem zweiten Satz der Begrüßungsworte des Stuttgarter Oberbürgermeisters ertönten
gleichzeitig von zwei Tonbandgeräten auf gegenüberliegenden Emporen die Matthäus-Passion und der Popmusiktitel
»Surfing Bird«. Zusätzlich wurden Flugblätter von der Empore geworfen. Es kam zum Tumult und zur Festnahme von
Böckelmann und Kunzelmann. Beide wurden jedoch in der anschließenden Gerichtsverhandlung freigesprochen. Ein Teil der
»Subversiven Aktion« trat später dem SDS bei, Dieter Kunzelmann wurde Mitbegründer der »Kommune 1« [= K 1], die sich
am 1. Januar 1967 in Berlin aus zwei Frauen und fünf Männern bildete, unter ihnen Fritz Teufel und Bommi Baumann. Die
»K 1« organsierte sogenannte »Polit-Happenings«, die gewöhnlich eine große Medienresonanz erhielten. Andererseits
versuchte die Kommune das Interesse der Massenmedien durch gezielte Falschinformationen zu lenken. Als die Polizei
Mitglieder der »K 1« verhaftete, weil sie angeblich ein Bombenattentat auf den US-Politiker Hubert H. Humphrey planten,
stellte sich schnell heraus, daß die als gefährlich angenommenen Explosivstoffe aus Pudding bestanden. Die Berliner Polizei
war blamiert, und die Berliner Kommunarden hatten die Lacher auf ihrer Seite.

Zum Aktionsrepertoire der 1957 gegründeten »Situationistischen Internationale« gehörte gleichsfalls die Sabotage. Am
Beginn ihrer öffentlichen Aktivitäten stand eine Störaktion auf einer Internationalen Versammlung von Kunstkritikern in
Belgien im Jahr 1958. Sie verteilten dort ein Flugblatt, in dem sie die Veranstaltung »als lächerlich, aber bedeutungsvoll«
bezeichneten. Im Laufe ihrer Existenz verschob sich das Interesse der Bewegung vom kulturellen zum politischen Feld. Neue
Formen der Sabotage wurden konzipiert. In der elften Ausgabe ihrer Zeitschrift »Internationale Situationiste«, Oktober 1967,
verfaßte René Vienet den Artikel »Einführung des Guerillakrieges in den Massenmedien«. Darin behauptet der Autor, daß es
keines großen Aufwandes und finanzieller Mittel bedarf, das Programm der Massenmedien zu attackieren. Jeder
Radioamateur könne heutzutage Radiosendungen stören bzw. selbst welche senden. Mit ihren Ideen sollten die Situationisten
später Einfluß auf die Maiunruhen 1968 in Frankreich gewinnen.
Nicht nur ihres Namens wegen bezog sich die »Guerilla Art Action Group« in den USA auf die Guerillakämpfer in Vietnam
und Kambodscha. Zu den Gründungsmitgliedern 1969 gehörten Destruktionskünstler wie Jean Toche, Poppy Johnson und Jon
Hendricks. Die »Guerilla Art Action Group« war eine radikale Abspaltung der »Art Worker's Coalition«, einer Art
Kunstgewerkschaft, deren Aktivitäten sie als zu zahm und zu gewaltlos betrachteten. Dabei glaubte die Gruppe stets an die
Kraft des Rituellen und die Inszenierung existenzieller Erfahrungen. Blut und Tierkadaver spielten bei ihren meist
unerlaubten Aktivitäten, die bis in das Jahr 1976 andauerten, häufig eine wichtige Rolle. Ein gemeinsam mit anderen
Künstlern durchgeführtes Happening im Museum of Modern Art in New York gehörte zu den spektakulärsten Aktionen der
»Guerilla Art Action Group«. Die Akteure hielten eine Andacht für die Massakrierten von Song My, einem vietnamesischen
Dorf, vor Picassos Gemälde »Guernica«. Unter anderem wurde ein acht Monate altes Baby von Kränzen umgeben auf dem
Boden vor das Gemälde gelegt und dabei den toten Kindern in Vietnam gedacht. Das Museum wurde auf eine provokative
Weise zu einer Kirche umfunktioniert und der Ablauf der Aktion so konzipiert, daß die staatliche Gewalt keinen geeigneten
Weg fand, sie zu unterbinden.

Aus Protest gegen die Aids-Politik der US-Regierung entstand in New York in den 80er Jahren die Bewegung »ACT-UP«. In
enger Verbindung zu ihr arbeitete eine Gruppe von Künstlern und Nicht-Künstlern, die sich den Namen »Gran Fury« gab. Mit
agitatorischer Tätigkeit unterstützten sie die Demonstrationen und Aktionen von »ACT-UP«. Douglas Crimp bezeichnete sie
deshalb als »unoffical propaganda ministry and guerilla designers«. So verteilten sie im Finanzdistrikt von Manhattan
Geldscheine, die auf einer Seite Dollarnoten glichen, auf der anderen Aufschriften mit aggressiven Slogans wie "White
Heterosexual Men Can't Get AIDS ... DON'T BANK ON IT» trugen. Im Jahr 1988 produzierte «Gran Fury" ein Plakat, das
zwischen den Schriftzügen »The Government Has Blood on Its Hands« und »One AIDS Death Every Half Hour« den Abdruck
einer Hand mit gespreizten Fingern zeigt. Um die Wirkung der Poster zu verstärken, führten sie eine Aktion durch. Mitglieder
von »Gran Fury« tauchten ihre Hände in rote Farbe und drückten sie ebenfalls mit gespreizten Fingern auf Briefkästen,
Verkehrszeichen und anderen Objekte im Stadtgebiet von New York ab. Mit unerlaubten Handlungen dieser Art wollte die
Gruppe die Bevölkerung wachrütteln und auf ihre Ziele aufmerksam machen.

Die Mehrzahl der Künstler verbinden mit ihren Sabotage-Arbeiten gesellschaftskritische Intentionen. Da für das Gelingen
von Sabotagen der Überraschungsmoment eine wichtige Rolle spielt, ist der Innovationsdruck, den die Künstler an sich
schon spüren, hier besonders groß. Nach Hakim Bey versucht die Kunstsabotage stets exemplarisch, dabei aber
undurchschaubar und anarchistisch zu bleiben: "Kunstsabotage ist die dunkle Seite des Poetischen Terrorismus - Schöpfung
durch Zerstörung -, kann aber keiner Partei dienen, noch irgendeinem Nihilismus und auch der Kunst nicht selbst."
Für den linksradikalen Theoretiker Detlef Hartmann ist das menschliche Leben selbst eine Sabotage. Denn es ist nicht
berechenbar und birgt einen nicht faßbaren Reichtum in sich, was es in Widerspruch zur Welt der Maschinen und ihren
Anforderungen stellt. Aus der Sicht der Technologie und der kapitalistischen Wirtschaft ist das Leben, da nie vollkommen
kontrollierbar, deshalb letztlich ein Störfaktor, eine potentielle Sabotage.

Justin Hoffmann




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