>Info zum Stichwort Nichts | >diskutieren | >Permalink 
Hawkwind_v2.0 schrieb am 15.2. 2002 um 13:15:56 Uhr über

Nichts

(das ist von meinem Freund Moritz, ich hätte ihn vorher fragen sollen. Bitte verzeih mir)
Ein Mensch schlenderte ziellos durch die Straßen seiner Stadt, bog um eine Ecke - und sah sich plötzlich dem Nichts gegenüber! Erschrocken und geblendet sah er rasch wieder weg; keiner kann das Nichts lange anblicken. Manche sagen, es mache die Menschen blind, andere behaupten, diese Blindheit sei erst eigentliches Sehen. Unser Mensch aber war nicht dieser Meinung; er versuchte, rasch und ohne es anzublicken an ihm vorüberzueilen. Doch das Nichts versperrte den ganzen Weg und als er sich umwandte, da war es auch hinter ihm. Und wie er noch zögerte, sprach es ihn auch schon an mit einer tiefen Stimme, die aus keiner Richtung zu kommen schien oder vielmehr aus allen Richtungen; sie wisperte aus den Bäumen, hallte aus den Kellerfenstern, dröhnte unter dem Pflaster, schallte vom Himmel herab und drang durch die Haustüren. Gerade wenn der Mensch vermeinte, sie lokalisieren zu können, kam sie wieder von woanders her.
Guten Tag“, sagte das Nichts.
Was? Wie meinst du denn das?!“ rief der Mensch entsetzt. Er hatte nämlich gehört, das Nichts sei so etwas ähnliches wie der Tod und dachte nun, es sei gekommen um ihn zu holen und bedeute ihm, sein letzter Tag sei bereits angebrochen. Denn daß es sich bei dieser Erscheinung um das Nichts handelte, das war ihm sofort klar gewesen - wenngleich er nicht wußte, wieso.
Ich meine garnichts und in keiner Weise. Ich bin das Nichts“, schallte und hallte und dröhnte und wisperte es.
Und wie darf ich Euch anreden?“, fragte der Mensch respektvoll, indem er seinen Hut zog.
„Überhauptnicht“, bemerkte das Nichts trocken.
Na dann guten Tag“, sagte der Mensch, setzte seinen Hut auf und machte einen Schritt vorwärts.
Ich habe keine Tage“, hallte es von allen Seiten, so daß der Mensch wieder stockte. Er mußte wieder an den Tod denken.
Was hast du denn jetzt mit mir vor?“
Ich habe überhauptnichts mit dir vor“, sagte das Nichts und dieses ‚überhauptnichts‘ klang so scharf und kalt, daß der Mensch trotz seiner Erleichterung ein wenig erbleichte.
Aber was tust du dann hier? Warum bist du zu mir gekommen?“ fragte er.
Ich bin nicht zu dir gekommen. Ich bin überall. Du hast mich gefunden. Und was ich tue ist - ich nichte!“
„Waas?“ kreischte der entsetzte Mensch. „Aber du hast mir doch versprochen, daß du mich nicht... ich meine... daß du mir nichts tust.“
So könnte man es auch nennen“, sagte das Nichts. „Und was tust du so?“
Och, ich weiß nicht...“ sagte der Mensch verwirrt, „ich war bloß ein Bißchen spazieren.“
Spazieren? Was ist das denn?“
Sag bloß, du weißt nicht, was spazieren ist!“ lachte der Mensch nervös. „Aber wenn du sowieso überall bist, hat das für dich wohl auch keinen Sinn.“
Also daß ich überall bin, das ist so nicht ganz richtig“, sagte das Nichts. „Ich hab das vorhin bloß so gesagt, damit du es besser verstehst. Genaugenommen ist es so: Ich bin nicht überall. Ich bin vielmehr überall nicht. Weil ich das Nichts bin, bin ich nur dort und kann nur dort sein, wo ich nicht bin. Tatsächlich bin ich überall nicht, ich bin nirgends. Insofern bin ich überall.
Hm, aha...“ machte der Mensch und kratzte sich im Genick. „Also wenn ich dich recht verstehe...“ begann er zögernd „wenn ich dich recht verstehe, gibt es dich überhauptnicht.“
Na eben!“ rief das Nichts erfreut. „Das versuche ich schon die ganze Zeit, dir klarzumachen!“
Aber warum unterhalten wir uns dann, wenn es dich überhauptnicht gibt? Ja, spinn' ich denn?!“
Tja, naja, also in der Sprache gibt es mich schon“, sagte das Nichts. „Manche behaupten sogar, ich sei nichts weiter als ein Grammatikfehler...“
Ein was?“ lachte der Mensch.
Also meine Meinung ist das nicht!“ wehrte sich das Nichts. „Mitnichts weiterwär ich ja noch einverstanden, aberein Grammatikfehler‘, das scheint mir dann doch etwas zu wenig.“
Was soll denn das nun heißen mit dem Grammatikfehler?“
Tja, man sagt, ich sei eine unzulässige Substantivierung: Das Wortnicht‘ negiert einen Sachverhalt und könne nicht zumNichts‘ substantiviert werden, sagt man. Das WortNichtsals Gegenteil zuEtwasbezieht sich wie das Wort ,nichtstets auf etwas Bestimmtes und sagt aus, daß dieses nicht vorhanden ist. Wenn einer zum Fenster hinausschaut und sagt, draußen sei nichts zu sehen, dann meint er doch sicher etwas Bestimmtes, von dem nichts zu sehen sei, einen Aufstand etwa oder ein Unwetter; ein Blinder würde so etwas wohl nicht sagen. Und selbst wenn ein Blinder sagtIch sehe nichts‘, so bezieht er das doch auf all das, was die Andern zu sehen behaupten oder was er selbst früher gesehen hat. ‚Nichtsist also vom Gegenstand, vom Etwas nicht zu trennen; also kann es kein eigenständiges Substantiv bilden. Das bin ich als Grammatikfehler.“
Oha“, machte der Mensch. „Hat dich das sehr beleidigt?“
Och nee, weißt du, wenn du garnicht existierst, dann berührt dich sowas nicht wirklich. Eigentlich ist mir diese Darstellung recht sympathisch, weil sie meiner Nichtexistenz schon recht nahe kommt. Aber der Grund für mein Nichtsein ist doch eher mein Nichts-sein selbst und nicht irgendwelche Grammatikregeln. Obwohl ich in Grammatik garnicht schlecht bin: Nimm zum Beispiel die SätzeEtwas ist grünundEtwas ist nicht grün‘. Das erste Etwas kannst du substantivierend ein Grünes nennen, das zweite könntest du ein Nichtgrünes nennen. Du könntest es aber auch ein nichtexistierendes Grünes nennen. Da hab ich so meine Freiheiten - die Grammatik kriegt mich nicht zu fassen, weil ich eben nicht existiere. Und nicht umgekehrt!“
Aber wenn du vornehmlich in der Sprache existierst - ich meine nichtexistierst - dann müßte die Grammatik doch mit dir zurechtkommen“, überlegte der Mensch.
Tja, weißt du“, erklärte das Nichtsich tauche ja nur dort auf, wo von Dingen die Rede ist, die nicht existieren oder sich nicht so und so verhalten. Und es gibt sehr Vieles - ich meine natürlich: Es gibt sehr vieles nicht, was nicht existiert oder sich nicht so und so verhält. Der Mensch bringt sich immer in Schwierigkeiten mit seinen eigenen Erfindungen - so auch mit dem Nichts. Ich erzähle als Beispiel hier gerne die Geschichte mit dem Esel vor dem Obst. Setz dich doch!“
Der Mensch ließ sich erschöpft auf einen Stuhl sinken, der nicht da war. Er landete unsanft auf dem Pflaster und lauschte der Geschichte auf allen Vieren.
Wenn ein Esel vor einem Obst steht, hat er im Wesentlichen nur zwei Möglichkeiten: Er frißt es oder er frißt es nicht. Zu einer Entscheidung über seine Verfahrensweise mag er durch verschiedene Empfindungen gelangen, die das Obst, sein eigenes Verdauungssystem oder dergleichen betreffen. Diese Entscheidung trifft er recht schnell; er empfindet die gesamte Situation, handelt seiner Empfindung entsprechend und befindet sich dann in einer anderen Situation - möglicherweise ist sie von Hunger oder Verdauungsstörungen gezeichnet. Dann handelt er abermals so, wie es die Situation erfordert - er furzt, frißt Gras und so weiter.
Ganz anders der Mensch! Der Mensch reagiert auf ein Obst etwa mit folgenden Überlegungen:
Oh, da liegt ja ein Obst. Normalerweise liegt dort kein Obst. Ich bin ja schon oft hier gewesen; noch nie lag bisher ein Obst da, wenn ich hier war. Na sowas, das ist mir ja bislang noch garnicht aufgefallen, daß dort kein Obst gelegen hat. Aber jetzt fällt mir doch deutlich auf, daß es dort liegt. Vielleicht lag es ja bisher auch da und ist mir bloß nicht aufgefallen. Aber wahrscheinlich lag es nicht dort, wenn ich da war, sonst wäre es mir wohl doch aufgefallen. Welch ein Zufall: Gerade in dem Moment, wo ich hier bin, liegt das Obst da, so daß es mir auffallen kann. Wenn das Obst woanders wäre, würde ich es wahrscheinlich garnicht bemerken und wenn ich selbst woanders wäre, wahrscheinlich auch nicht. Welch ein Glück!
Ja soll ich es denn essen? - Dann läge es nichtmehr dort. Aber es könnte mir vielleicht auch dort recht gut gefallen, wo es nach dem Verzehr wäre und jetzt noch nicht ist. Immerhin verspüre ich einen gewissen Drang, es zu essen - einen freudigen Drang, der verbunden ist mit der Freude darüber, daß es dort liegt und daß ich hier bin. Das ist wahre Daseinsfreude! Die Sättigung wird kaum so angenehm sein können wie diese Freude. Die Freude, so wie sie jetzt ist, wäre zweifellos nichtmehr da, wenn ich das Obst gegessen hätte. Soll ich es denn nun essen? Na, wolln mal sehn: Das Obst hier ist nicht ein Apfel, denn es ist eine Birne. Äpfel bekommen mir eigentlich besser. Ich könnte ja woanders hingehen und sehen, ob dort Äpfel sind, wo ich jetzt nicht bin. Oder ob hier, wenn ich zurückkomme, statt der Birne ein Apfel daliegt.
„Nahaijeen - aufhören!!“ schluchzte der Mensch, die Finger ins Pflaster gekrallt.
„Cogito ergo sum“, spottete das Nichts und schnalzte vergnügt mit nichts. „Tat tvam asi!“ setzte es noch hinzu. Des Menschen Stimme zitterte vor Wut, während er wieder auf die Beine kam.
Tat tvam asi, tat tvam asi, ja bist du denn von allen guten Geistern verlassen?!“, schrie er. Hierzu sagte das Nichts nichts. „Also mir wird das jetzt wirklich zu bunt mit dir! Du existierst selber nichtmal, aber willst mich hier als Deppen hinstellen!"
Ich will überhauptnichts“, sagte das Nichts beschwichtigend.
Jaja, die Platte hast du mir ja heut schon öfter vorgespielt. Laß mich endlich in Ruh mit deiner alten Leier!“ Während er die letzten Worte hervorstieß klaubte er seinen Hut vom Boden auf, stülpte ihn auf den Kopf und stapfte davon.
Aber du bist ja garnicht in Ruhe“, schallte es durch die Straße. Da begann der Mensch, zu rennen. Er entwischte durch eine schmale Gasse, überquerte eine andere Straße, schlüpfte zwischen Autos durch und gelangte zum Fluß hinunter, an dessen Seite er in gemächlicheren Trab verfiel, den er einige Zeit durchhielt. Schließlich ging er zu einem Spazierschritt über und sein Atem beruhigte sich allmählich.
Gehst du jetzt spazieren?“ fragte das Nichts vorsichtig.
Ja, jetzt geh ich spazieren“, gab der Mensch zurück. „Und beim Spazierengehen möchte ich nicht von dir belästigt werden.“
„Erzählst du mir, was Spazierengehen bedeutet?“ fragte das Nichts leise.
Nee, also das Spazierengehen lass ich mir nicht auch noch nichten von dir!“ brauste der Mensch auf. „Es wär besser, wenn du jetzt einfach die Klappe hältst, du Null du!“
Als Null kannst du mich aber nicht so einfach abtun“, gab das Nichts zu bedenken. „Es gibt keine negative Null.“
Ja steht denn irgendwo geschrieben, daß du eine negative Zahl bist? Die Null ist immerhin die einzige Zahl, die keinen Wert hat. Du willst doch nicht etwa behaupten, du hättest einen Wert?“
Ich habe keinen Wert, aber die Null hat den Wert 0. Warum sollte ich denn überhaupt eine Zahl sein? Ich bin garnichts. Erst wenn du dir eine Zahl denkst, dann bin ich alle Zahlen, die du dir nicht gedacht hast.“
Ist es denn möglich, eine Zahl zu denken, ohne die anderen Zahlen mitzudenken?“ Dazu schwieg das Nichts eine kleine Weile und der Mensch blinzelte vergnügt in die Sonne. Dann aber hob es wieder zu sprechen an:
OK, der Mensch denkt sich alles, der Mensch denkt sich ja sogar das Nichts. Was das für ihn bedeutet, das hab ich dir doch mit der Geschichte vom Esel vor dem Obst gezeigt. Aber der Mensch ist ja nicht ausgestorben deswegen und wenn dudrei plus fünf‘ sagst, dann meinst du damit nichtalle Zahlen plus alle Zahlen‘.“
Gut, in Ordnung: Du bist alles das, was nicht gemeint ist. Aber wenn ich zu meinen Kindern sageEs gibt heute nichts zu essen‘, dann mein ich das auch so. Und was ist dann mit dir?“
Dann“, sprach das Nichtsbin ich nicht etwa die Leere im Topf, die Luft, sondern das Essen, das sich deine Kinder vorstellen; das, was im Topf sein könnte, aber nicht im Topf ist. Wenn du vom Nichts sprichst und es auch meinst, dann bin ich nicht dieses Nichts, sondern das nichtvorhandene Etwas.“ Der Mensch kratzte sich wieder im Genick. Nach einer kleinen Pause sagte er:
Wenn ich dich jetzt anreden würdehallo liebes Nichts, liebes Alles-was-nicht ist!‘ und wenn ich das auch so meinte... dann wärest du nichtmehr dieses Nichts, nicht?“
Genau“, sagte das Nichts. „Dann wäre ich alles, was ist und was nicht nicht ist; alles das, was du nicht gemeint hast. Viele Philosophen sind schon auf diesem Gleis gelandet, wenn sie alles Existierende untersuchen und zu Beginn die übliche Abgrenzung von Nicht-zu-Untersuchenden vornehmen wollten: Sie betrachteten die Summe aller möglichen Welten, spekulierten über die Möglichkeit von Nichtexistentem - und derweil bin ich längst für sie zum Existenten geworden, zu dem, was aus der Fülle der Möglichkeiten als Wirklichkeit gleichsam herausgestanzt ist. Ich binde sie an die wirkliche Welt - was glaubst du denn, wo ich gelernt habe, so geschickt zu argumentieren - und Vielen erscheine ich dann als Tod, der ihre Spekulationen beendet oder als Hunger, der sie unterbricht. Alles Irdische ist vergänglich und denen, die sich nicht mit dem Vergänglichen befassen, denen sitz ich dann halt als Vergänglichkeit im Nacken, als Nicht-Ewigkeit vielmehr.
Aber bevor du mich jetzt beim Namen nennst, so daß ich für dich in die Welt eingehe und meine Nichtexistenz verliere, beziehungsweise vertausche, möchte ich dich noch um einen Gefallen bitten: Viele Leute haben Angst vor mir, glauben, ich sei der Vernichter alles Existierenden. Wenn du ein Philosoph wirst und die Leute dich fragen, was das Nichts denn so tut, dann sag ihnen: ‚Das Nichts geht spazieren!‘“
Versprochen!“ sagte der Mensch bewegt.
Danke“, seufzte das Nichts. „Und jetzt“, hauchte es ergebenjetzt kannst du mich nichten.“
Sei gegrüßt, liebes Nichts, liebes Alles-was-nicht-ist“, sagte der Mensch. „Es war nett, mit dir zu plaudern.“
Eine aufgeschreckte Taube flatterte direkt auf seinen Kopf zu, so daß er sich ducken mußte. „Nein“, dachte er noch, als es platschte und ihm etwas Nasses die Stirne herablief. „Doch“, dachte er, „Scheiße“. Die Taube flatterte auf einen Baum. Der Mensch hatte ein Taschentuch dabei. Das Leben ging weiter, das Nichts nicht nicht.



   User-Bewertung: +1
Was ist das Gegenteil von »Nichts«? Erkläre wie es funktioniert.

Dein Name:
Deine Assoziationen zu »Nichts«:
Hier nichts eingeben, sonst wird der Text nicht gespeichert:
Hier das stehen lassen, sonst wird der Text nicht gespeichert:
 Konfiguration | Web-Blaster | Statistik | »Nichts« | Hilfe | Startseite 
0.1245 (0.1016, 0.0213) sek. –– 818809203