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DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL
DIE GELEHRTENTRAGÖDIE
Nacht
Der Schauplatz ist das Arbeitszimmer des Doktor Faust. Es wird als dunkel un eng beschrieben, was die Situation Fausts signalisiert und einen Gegensatz zum vorhergehenden 'Prolog im Himmel' darstellt. In einem Monolog stellt Faust sich selbst, seine Situation und seine Schwierigkeiten dar.
"Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
und leider auch Theologie!
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor" [354-359]
Er sitzt am Pult. Seine anfängliche Stimmung ist depressiv und überdrüssig. Er baklagt sich, daß nichts seinen Erkenntnisdrang stillen kann. Er ist verzweifelt und wäre zu allem bereit, wenn es ihm helfen könnte. Seine Situation als Professor empfindet er als unerträglich, er kann seinen Schülern nichts rechtes lehren, auch muß er auf das Leben in der Welt außerhalb der Universität verzichten. In ihm steckt die unbezwingbart Sehnsucht nach höherer Erkenntnis. Er geht sogar so weit, daß er die Welt wie Gott sehen will, er ist unersättlich.
Da ihm aber diese Erkenntnis die Wissenschaft nicht bieten kann,
Faust nach einer Radierung von
Rembrandt
Er erkennt er die Möglichkeit, sie durch Magie, durch Geister, zu gewinnen.
"Drum hab ich mich der Magie ergeben,
Ob mir durch Geistes Kraft und Mund
Nicht manch Geheimnis würde kund" [377-379]
Er blickt aus dem Fenster, fleht den Geist an, zu erscheinen, sieht den Mond und beklagt sein Gelehrtendasein, sein Leben im »Kerker« [398]. Er hat den Wunsch, frei in die Welt zu gehen, frei von allem Wissensdrang. Er verflucht das überlieferte theorethische Wissen der Bücher und will das echt Leben suchen. Doch er kann dazu nicht den Mut aufbringen und wendet sich zugleich einem Buch zu; er meint, darin etwas wesentliches entdeckt zu haben. Doch im gleichen Augenblick erkennt er, daß es nur ein Bild gewesen ist und er nichts entdeckt hat.
Schließlich erblickt Faust im Buch das Zeichen des Erdgeistes. Er empfindet diesen Anblick als emutigend. Er meint, Mut gefaß zu haben, Weh und Wohl der Welt erleben zu wollen, sich mit dem wirklichen Leben abzumühen.
Mephisto wird im Verlauf des Dramas, bei dem Versuch, Faust zufriedenzustellen andere Ziele verfolgen, als Faust sie hier vor Augen hat. Ein folgenschweres Mißverständnis. Mephisto will Faust mit Genuß und Macht abspeisen, was für Faust aber eigentlich nicht vorrangig ist. Mephistos »schwarze Magie« (vorspielende Magie) ist der Gegensatz zur »weißen Magie« (erkenntnissuchende Magie).
Faust ersehnt die »weiße Magie« als Hilfsmittel, er bemüht sich nicht seinen Wunsch aus eigener Kraft zu erfüllen. Er beschwört den Erdgeist, zu erscheinen:
"Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!
Du mußt! du mußt! und kostet' es mein Leben!" [480f]
Er ist an sich nichts böses, wie Mephisto und die »schwarze Magie« es sind. Der Geist erscheint, doch Faust dann des Anblick des Geistes nicht erteragen. Der Geist weist Faust in seine Schranken, er zerstört Fausts Illusion vom Leben außerhalb der Universität, er holt ihn wieder zurück auf der Boden der Tatsachen. Faust ist seiner Verzweiflung überlassen, als der Geist wieder verschwindet. Seine Vesuche, sich durch gute Magie zu helfen sind mißlungen.
In dieser Verzweiflung platzt Fausts Gehilfe Wagner. Er hat Faust gehört, wie er mit dem Erdgeist geredet hat und seine verzweifelten Wort danach. Wagner hat gemeint, Faust trage ein
Erscheinung des Erdgeistes - Bleistiftzeichnung von Goethe
griechisches Trauerspiel vor. Es ist typisch für Wagner, er kann sich eine solche Rede nur als literarische Äußerung vorstellen. Er bittet Faust, mit ihm ein wenig über Rhetorik zu diskuttieren. In diesem Gespräch werden die unterschiedlichen Meinungen der beidne deutlich. Wagner meint in Bezug auf die Vortragskunst, daß es allein auf gut zusammengetragenen Vortragsstoff von andern Autoren ankomme. Faust verabscheut diese Anschauungsweise. Er meint, es komme nur auf Gefühl an; wenn es einem wichtig sei, etwas zu sagen, werden man schon verstanden.
»Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen« [534]
"Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
Wenn es euch nicht von Herzen geht." [344f]
Die Tradition, das überlieferte Wissen lehnt er in seiner übersteigerten Ich-Bezogenheit ab.
Das Thema wird gewechselt, sie reden über die Quellen des Wissens. In übertriebener Weise behauptet Faust, daß das historische Wissen für nichts als Theaterstückt gut sei. Wagner lobt die Errungenschaften der Vergangenheit und verzichtet, ebenfalls übertrieben, auf eigenen Gedanken. Er wird von Faust niedergemacht, indem dieser entgegenhält, daß die Menschen sich doch schlußendlich gegen Wahrheit und Erkenntnis wehren würden. Diejenigen, die es versuchten, würden vom »Pöbel« [592] gekreuzigt oder verbrannt.
»Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?« [589]
Während Wagner, ganz im Sinne der Aufklärung eine Art Volksbildung im Auge hat, zeigt Faust damit seine elitäre Auffassung der Menschen. Faust beendet das Gespräch, es sei spät. Wagner will am morgigen Ostertage weiterdiskutieren.
»Zwar weiß ich viel, doch möcht ich alles wissen.« [601]
Faust ist wieder allein. Er versucht das Erlebnis mit dem Erdgeist zu verarbeiten. Er erkennt, daß er sich überschätzt hat (als »Ebenbild der Gottheit« [614]). Die Bindung des Körpers an den Geist findet er behindernd für das Leben. Ihm wird klar, daß er sich ständig unnütz Sorgen macht, um Besitz, Angehörige und sein Wohlbefinden und somit ein »Wurm« [707] ist, wie er vom Erdgeist bezeichnet worden ist. Faust erblickt die Bücher und Gerätschaften, die er von seinem Vater geerbt hat. Er verwirft sie als unnütz, sie würden auch nicht helfen, die »Natur des Schleiers zu berauben« [673]. Das ererbte verabscheut er, nur das selbst angeeignete sei gut.
Schließlich erblickt er ein Fläschche, gefüllt mit Gift. Er sieht die Möglichkeit des Selbstmordes und damit von seinem Dasein als »Wurm« [707] befreit zu werden, an »neuen Ufern« [701] einen »neuen Tag« [701] zu sehen. Er sieht zwar die Gefahr, ins »Nichs dahin zu fließen« [719], aber das Risiko geht er in Anbetracht des möglichen Ziels ein.
Als er das Glas gerade an den Mund führt, wird es ihm gewaltsam vom Munde gezogen. Es ertönen Osterglocken und Chorgsang. Faust gelangt zu der Erkenntnis, daß er nicht in der Lage sei, ein gläubiger Christ zu sein.
»Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube« [765]
Er läßt seine Selbstmordgedanken, in Erinnerung an seine christliche Jugend, fallen. Gefühlsmäßig und wunschhaft hat er noch ein »christliches Verständnis«, das aber immer mehr vernachlässigt wurde und wird. Jetzt hat es ihn gerettet (»Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder!« [784]).
Vor dem Tor
Faust spaziert mit Wagner in einer kleinen Stadt umher. Es ist kurz vor Ostern und die Straßen sind voll mit Leuten, die ihr Glück genießen. Selbst Faust läßt sich davon anstecken, vergißt seine Situation:
»Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!«[940]
Irgendwann spricht ein alter Bauer Faust an und rühmt ihn seiner Taten, die er zusammen mit seinem Vater zur Zeit einer Seuche vollbracht hat. Faust geht mit Wagner weiter und gibt diesem Einzelheiten von seinen damaligen Tätigkeiten preis. Faust und sein Vater wollten der Seuch durch Beten und Fasten beikommen, aber in ihrer Ungeduld verabreichten sie den Erkranketen Quecksilberchlorid (»Die junge Königin«) und haben somit »weit schlimmer als die Pest getobt« [1052], wegen der Giftigkeit des 'Medikaments'. Faust wirft sich Verantwortunslosigkeit vor und beklagt, »daß man die frechen Mörder lobt« [1055].
Faust sagt zu Wagner:
»Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust« [1112].
Die eine strebt zur Allwissenheit, die andere wählt das irdische Menschenlos. Er entscheidet sich jetzt für das irdische Menschenlos und öffnet somit Mephisto die Türe. Er wird von Wagner gewarnt, doch diese Warnung erlangt kein Gehör. Als die beiden wieder heimgehen wollen erscheint ein schwarzer Pudel. Faust nimmt das herrenlose Tier, das sich als Mephisto entpuppen wird, mit sich nach Hause.
Studierzimmer I
Faust ist wieder in seinem Arbeitszimmer. Er erlebt eine ruhige Stimmung, die aber immer mehr nachläßt. Er übersezt Teile der Bibel (»im Anfang war die Tat« [1237])und wird vom Pudel ständig gestört. Der Pudel verwandelt sich nun in Mephisto. Auf die Frage, wer er sei, beschreibt er sich als das Böse:
"Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles was entsteht,
Ist wert, daß es zugrunde geht;
Drum besser wär's, daß nichts entstünde,
So ist denn alles, was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz, das Böse nennt,
Mein eigentliches Element." [1338-1344]
Faust bittet Mephisto um einen Pakt zwischen ihnen beiden. Mephisto aber sagt, dazu brächte es mehr Zeit und außerdem müsse er jetzt gehen. Faust hält ihn fest,
"Den Teufel, wer ihn hält!
Er wird ihn nicht so bald zum zeiten Male fangen"[1428f].
Aber Mephisto läßt Faust in tiefen Schlaf versinken und kann nun gehen,
»Du bist noch nicht der Man, den Teufel festzuhalten« [1509].
Er verspicht wiederzukommen.
Es wurde deutlich, daß Mephisto Fausts Streben nicht erfassen kann, das ja in das Schöpferischen, Göttliche und Positive zielt. Auch Faust gibt also dem »Gesellen« keine Chance bei der Verfolgung seiner zerstörerischen Absichten. Faust bezweifelt, ob Mephisto das Ganze begreifen kann.
"So setzt du der ewig regen,
Der heilsam schaffenden Gewalt
Die kalte Teufelsfaust entgegen,
Die sich vergebens tückisch ballt!"[1379-82].
Studierzimmer II
Mephisto sucht Faust erneut auf. Faust ist in tiefer Depression und Verzweiflung versunken, er hat ein total pessimistisches Bild der Welt. Er denkt an Selbstmord:
»Und so ist mir das Dasein eine Last, der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt« [1570f]
Mephisto erinnert ihn an jene Nacht, wo er in letzter Minute vom Selbstmord abgekommen ist:
"Und doch hat jemand einen braunen Saft,
In jener Nacht, nicht ausgetrunken" [1579f]
Daraufhin verflucht Faust alle Dinge, die ihn am Leben gehalten habe, jene Dinge, die das Leben lebenswert machen:
"...
Fluch sei der Hoffnung! Fluch dem Glauben,
Und Fluch vor allem der Geduld!" [1605f]
Jezt ist der beste Moment für Mephisto. Faust ist der alten Dinge überdrüssig, die ihn anscheinend nur belügen können. Dies wird ihn in die Hände Mephistos treiben, dem Lügenmeister, der ihm nur Illusionen zu bieten hat. Mephisto macht Faust ein neues Leben schmachkhaft. Faust entscheidet sich anscheinend endgültig gegen die angestrebte Allwissenheit und für ein sinnliches Leben.
"Zeig mir die Frucht, die fault, eh man sie bricht,
Und Bäume, die sich täglich neu begrünen" [1686f]
Mephisto soll ihm dabei zur Seite stehen und sein ergebener Diener sein. Faust aber bezweifelt, daß er ihn glücklich machen kann.
Faust fragt nach dem Preis für Mephistos Dienste. Dieser will als Gegenleistung einen Pakt, der besagt, daß er Fausts Seele nach dessen Tod bekommt. Faust macht einen Gegenvorschlag: Sie einigen sich auf eine Wette. Wenn es Mephisto gelingt, Faust selbsgefällig zu stimmen und dieser am Ende seines Lebens zu Augenblick sagen kann »Verweile doch! du bist so schön!« [1700], dann hat Mephisto gewonnen und Fausts Seele ist sein. Faust scheint die Unstillbarkeit seines Verlangens sicher. Der Vertrag wird besiegelt.
Gegen Fausts Grübeln wollen sie erst die kleine (bürgeliche) und dann die große (höfische) Welt besuchen.
Als ein Schüler vor der Tür steht will Mephisto mit ihm reden, in der Gestalt Fausts. Faust soll sich solange zur Reise berein machen.
Faust schwört allen Illusionen seines bisherigen Lebens ab, auch der Religion, und will sein Streben künftig nicht mehr der Erkenntnis, sondern der Erfahrung des wirklichen, sinnlichen Lebens widmen. »Vom Wissensdrang« [1768] befreit will er das »Wohl und Weh« [1773] der ganzen Menschheit erleiden, spricht vom »schmerzlichsten Genuß« [1766], während Mephisto ihm »der Erde Freuden« [1859] vermitteln will. Mit diesen unterschiedlichen Zielvorstellungen habe sie die Wette gemacht. Faust trauert noch einmal darum, daß er nicht »der Menschheit Krone« [1804] erringen kann, Mehpisto setzt dem nur nüchtern entgegen:
»Du bleibst doch immer, was du bist« [1809].
Als Mephisto allein ist, offenbart er, wie egal ihm eigentlich das Schicksal Fausts ist:
"Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
Und hätt er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
Er müßte doch zugrundegehen!" [1865-67]
Wie Faust vorher empfiehlt jetzt Mephisto einem jugen Studenten, der meint, er habe Faust selbst vor sich, das wirkliche Leben anstelle es theorethischen Studiums. Mephisto meint dazu:
"Grau, teurer Freund, ist alle Theorie,
Und grün des Lebens goldner Baum." [2038f]
Hier beginnt die Weltfahrt von Faust und Mephisto.
Auerbachs Keller in Leipzig
In Auerbachs Keller will Mephisto seine Schützling in lustige Gesellschaft bringen. Faust erhält einen ersten Anschauungsunterricht, wie es 'in den Tiefen der Sinnlichkeit' aussieht, die er unbedingt kennenlernen wollte. Er sieht Menschen am Rande der Gesellschaft, die keineswegs lustig sind, aus Langeweile auf eine Dummheit warten, sich nur mit sich selbst beschäftigen, ohne Pespektiven, ohne Gemeinsinn oder politisches Interesse, die aber äußerst nationalistisch eingestellt sind. Das Bild ist keinswegs schmeichelhaft.
Mephisto zaubert ihnen Wein und nachdem dieser in Flammen aufgeht, müssen er und Faust vor den Aggressionen der 'lustigen Gesellschaft' fliehen. Faust findet an dem ordinären Treiben der Zechenkumpane ebenso wenig Gefallen, wie an den Zauberkünsten Mephistos.
In dieser und in der folgenden Szene erleben wir, wie Mephisto sich das 'wilde Leben' vorstellt und wie weit er damit von Fausts Vorstellugen entfernt ist.
Hexenküche
Mehpisto und Faust begeben sich in eine Hexenküche. Die Hexe braut Faust einen Zaubertrank. Faust ist von der ganzen Zauberei wenig beeindruckt. Der Zaubertrank verjüngt ihn und steigert seine sinnliche Begierde. Mephist:
"Du siehst, mit diesem Trank im Leibe,
Bald Helenen in jedem Weibe." [2603f]
Faust sieht in einem Spiegel das Bild seiner Traumfrau. Mephisto verspicht, ihm ein solches Schätzchen zu beschaffen.
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