>Info zum Stichwort GeorgeWalkerBushisteinemAttentatzumOpfergefallen | >diskutieren | >Permalink 
wuming schrieb am 19.3. 2003 um 13:44:02 Uhr über

GeorgeWalkerBushisteinemAttentatzumOpfergefallen

Der Text ist eine Baustelle

Heute Abend eröffnet die Leipziger Buchmesse.
Literarisch schreiben lernen konnte man vor Ort
schon in den Fünfzigerjahren. Und noch immer
studieren am Deutschen Literaturinstitut Leipzig
einige der jungen Erfolgsautoren, wie man Regeln
vermeidet

von SUSANNE MESSMER

Eine Studentin in der Runde rutscht auf ihrem Stuhl sehr
viel unruhiger herum als die anderen. Heute soll es um
ihre Geschichte gehen. Ihr Dozent und ihre
Kommilitonen, die meisten erst um die zwanzig, sind nur
deshalb zusammengekommen. Der Text handelt von
einer Tochter, die nicht einmal davor zurückschreckt,
ihrer Mutter eine Salbe gegen Scheidenpilz aufzutragen.
Man erfährt, dass die Mutter vor Jahrzehnten auf einem
Trip hängen geblieben sein muss, das meint zumindest
die Tochter. En passant erschließt sich aber auch, dass
die Mutter noch immer ihrem Beruf nachzugehen in der
Lage ist. Langsam entwickelt man Misstrauen gegen
diese Tochter.

Der erste Einwand, der aus der Runde kommt: Eine
Kommilitonin will wissen, was mit der Mutter los ist, das
sei ihr alles zu wenig erklärt. Eine andere Studentin
ergänzt, die Tochter sei zu selbstzufrieden, als dass
zwischen den Figuren noch etwas passieren könne.
Auch der Dozent, Josef Haslinger, wendet ein: "Könnte
es sein, dass Sie sich die Geschichte gerade erst
erschreiben?" Die Autorin schnappt nach Luft. Mehr zu
erklären, das würde sie langweilig finden, wehrt sie sich.
Dann sieht sie ein: "Ich glaube, ich habe die Tochter zu
cool gemacht." Andererseits: Besteht nicht gerade der
Reiz der Geschichte in der zweifelhaften Perspektive der
Tochter? Diese Meinungsverschiedenheit wird nicht
beigelegt. Erst als es um Konkreteres geht, löst sich die
Spannung. Falsche Zeitsprünge werden aufgespürt,
einen »sterbenden Stern« nimmt die junge Autorin
vergnügt als Stilblüte an.

Wir befinden uns in einem der schönsten Viertel
Leipzigs in einem Raum einer lichtdurchfluteten Villa - im
Deutschen Literaturinstitut. Geht man davon aus, dass
hier alle Seminare so produktiv und sachlich ablaufen
wie dieses, ohne Hiebe unter die Gürtellinie und ohne
Konkurrenzdruck, dann muss man annehmen: Hier kann
man schreiben lernen. Der Kniff ist ganz einfach. Anstatt
Regeln dafür aufzustellen, was gute Literatur zu sein hat,
ergeben sich die Regeln von Text zu Text neu.

Es geht darum, die Intentionen der Texte
herauszuschälen, dann zu besprechen, was an ihnen
nicht in diesem Sinne funktioniert, aber auch, welche
Möglichkeiten sie haben, die noch nicht ausgeschöpft
sind. Was hier gelehrt wird, ist kein Kanon, sondern die
Fähigkeit, sich aus Texten, auch den eigenen,
herauszukatapultieren - sich ihre Machart bewusst zu
machen. Man kann nachschlagen, wie andere Autoren
ähnliche Probleme gelöst haben, ein klassisches Muster
allerdings, auf das man sich immer beziehen könnte,
wird hier nicht angestrebt.

In den letzten Jahren sind immer mehr erfolgreiche
Debüts von Autoren erschienen, die in Leipzig studieren
oder studiert haben: Von Tobias Hülswitt, Julie Zeh, im
letzten Herbst Ricarda Junge, in diesem Frühling Volker
H. Altwasser mit seinem Roman "Wie ich vom
Ausschneiden loskam" (Kiepenheuer & Witsch, Köln
2003, 204 S., 8,90 Euro). Immer mehr Verleger und
Agenten beobachten das Literaturinstitut genauer, und
auch eine Jahresanthologie der Studierenden, die unter
dem Titel »Tippgemeinschaft« in diesen Tagen zum
ersten Mal im Eigenverlag erscheint (ISDN
3-00-011120-4, 163 S., 10 Euro) und Texte von 33 der
60 Studierenden versammelt, wird im nächsten Jahr
sicher bei einem größeren Verlag herauskommen.

Immer mehr Leute wollen es auf sich nehmen, sich hier
in sechs Semestern zum Diplomschriftsteller ausbilden
lassen - ohne Aussicht auf anschließenden Brotberuf.
Sie machen Scheine, sie besuchen Prosawerkstätten,
aber auch Seminare zu Lyrik, Dramatik, Drehbuch,
Essay, Literaturgeschichte und Literaturkritik. Sie
studieren bei den beiden Professoren, den Autoren
Josef Haslinger und Hans-Ulrich Treichel, aber auch bei
anderen prominenten Schriftstellern, bei Gastdozenten
wie Marcel Beyer, John von Düffel, Thomas Hürlimann,
Sten Nadolny oder Herta Müller.

Josef Haslinger, der eben noch mit viel Feingefühl seiner
Studentin beigebracht hat, dass sie ihren Text über das
verzwackte Mutter-Tochter-Verhältnis überarbeiten
muss, sitzt in seinem Büro und freut sich mit diesem
bestimmten Wiener Schmäh, weil er nur aufgewärmten
Kaffee anbieten kann. Er, der als Autor vor allem mit
seinem Politthriller »Opernball« bekannt geworden ist,
erzählt, wie er während der Jahre als Redakteur bei der
Literaturzeitschrift Wespennest vor allem von seinem
literarischen Lehrer Gustav Ernst profitieren durfte. So,
wie aus dem Dialog Platons mit seinen Schülern die
Akademie hervorgegangen sei, so solle die
Auseinandersetzung zwischen Erfahrenen und weniger
Erfahrenen der Grundstein dieser Schule sein, erklärt er.
Dann lacht er wieder und beginnt, ernsthaft zu berichten.

Denn eigentlich sind es zwei ganz andere Traditionen,
auf die sich das Deutsche Literaturinstitut bezieht - und
von denen es sich vor allem abgrenzt. Da wäre zum
einen das Institut Johannes R. Becher in der DDR, 1955
in den Räumen des Deutschen Literaturinstituts
gegründet, wo Autoren der Sozialistische Realismus
eingetrichtert werden sollte. Auch wenn sich die
Kaderschule im Laufe der Jahre zu einer Schule der
Dissidenten entwickelte, auch wenn fast jeder bekannte
DDR-Schriftsteller von Sarah Kirsch und Erich Loest bis
Christa Wolf hier war, käme am Literaturinstitut heute
niemand auf die Idee, an das Becher-Institut
anzuknüpfen. Weder will heute noch jemand etwas von
sozialistischen Utopien wissen noch von den
Möglichkeiten, Kritik zu üben und sie gleichzeitig
geschickt zu verstecken.

Ebenso grenzt man sich hier aber auch von der anderen
großen Tradition der Schreibschule ab, dem Creative
Writing, das in den USA heute zum Allgemeinwissen
gehört. Was Creative Writing lehrt - dass Helden leiden
müssen, böse Gegenspieler brauchen, dass der
Ernstfall unbedingt eintreten, dass es Tote geben muss -
damit will man am Literaturinstitut nichts zu tun haben.

Das klingt alles sehr schön. Aber ist nicht auch an
diesem Institut ein bisschen Vereinsmeierei im Spiel? Ist
es nicht eigentlich das Schöne am Lesen und
Schreiben, dass man dabei schön bei sich bleiben darf?
Haben Autoren heute nicht eher zu viel zu tun mit der
Organisation von Lesungen, Interviews, Stipendien und
Preisen? Wenn es so viel Spaß macht, das Schreiben
zu lernen, warum kann man dies in Deutschland an nur
so wenigen Orten tun - neben dem Literaturinstitut sind
es eigentlich nur noch Hanns-Josef Ortheils Studiengang
Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in
Hildesheim, das Studio Literatur und Theater an der Uni
Köln, die »Schule des Schreibens« der Hamburger
Axel-Andersson-Akademie, die Autorenwerkstätten des
Münchener Literaturhauses und des Literarischen
Colloquiums in Berlin. Warum lernt man schon in den
Grundschulen Musik oder Malen, nicht aber die Kunst
des Schreibens?

Vielleicht liegt es ja am Geniekult, der hierzulande noch
stärker nachwirkt als anderswo, an der Idee, dass
Begabung angeboren ist - eine Vorstellung, mit der sich
Ende des 18. Jahrhunderts Autoren des Sturm und
Drang gegen das enge Korsett aus Gattungsnormen,
Stillehren und thematischen Vorgaben der Poetik der
Aufklärung stemmten.

Diesem Geniekult scheint am Deutschen Litertaurinstitut
niemand mehr nachzuhängen. Ob man nach der
Beendigung des Studiums in der Lage sein wird, ein
gutes Buch zu schreiben - das, denkt man hier, hängt
weniger von Begabung ab als vom individuellen
Enthusiasmus, der Opferbereitschaft, die man dann
aufzubringen bereit ist. Und auch vergrübelte Dichter
bekommt man nicht zu Gesicht. Im Gegenteil: Eher geht
es hier zu wie an jedem kleinen Fachbereich an jeder
kleinen Universität. Vor und nach den Seminaren wird in
den Fluren geraucht, Automatenkaffee getrunken,
getratscht - und mittags geht es zusammen in die
Mensa. Bei Spiralnudelmatsch mit Fertigtomatensoße
erzählen Bov Bjerg und Philip Meinhold aus Berlin, zwei
der ältesten Studenten am Institut, warum es sie nach
Leipzig verschlagen hat.

Bov Bjerg, Jahrgang 1965, liest und schreibt seit mehr
als zehn Jahren für verschiedene Berliner Lesebühnen.
Doch hat ihn seine Erfahrung nicht davon abgehalten,
noch einmal das Schreiben zu studieren: "Ich will endlich
etwas schreiben, das nicht auf Zuschauerreaktionen
spekuliert." Er meint, dass man Schreiben auch noch
lernen muss, wenn man bereits schreibt. Ob er, wenn er
hier zu Ende studiert hat, besser schreiben wird, diese
Frage kann er nicht beantworten. Auf jeden Fall wird er
bewusster lesen können - fremde Texte ebenso wie
eigene. Philip Meinhold, Jahrgang 1971, ging es nicht
anders: Auch er ist übers Schreiben darauf gekommen.
Bei der Arbeit an seinem Erstling »Apachenfreiheit« ist
er auf Probleme gestoßen, "einfache, aber elementare
Dinge», wie er sagt, «wie man zum Beispiel ein Kapitel
beendet und ein neues beginnt oder wie man die
Erzählperspektive wechselt." Ob er Angst hat, dass ihm
durch solche Regeln der individuelle Stil ausgetrieben
wird? "Ach was. Hier gibt es doch gar keine
einheitlichen Regeln."

Ob sich in Leipzig wirklich niemals Normen und
Prinzipien festsetzten, die sogar zu einem Institutsstil
führen könnten, dazu gilt es, ein weiteres Seminar zu
beobachten. In der Prosaübung von Hans-Ulrich
Treichel, der vor allem leicht und realistisch erzählte
Prosabände veröffentlicht hat, stellt ein junger Autor
einen Text vor, der zunächst noch von ein paar Freunden
erzählt, die zusammen Gotcha spielen. Dann landen die
Helden abrupt mitten im Nibelungenlied. Auf Nachfragen
erklärt der Autor, er finde Brüche gar nicht so schlecht.
Allgemeine Ratlosigkeit. Hans-Ulrich Treichel wirft ein, er
habe diese ganzen Zitate überlesen, weil er erfahren
wollte, wie es weitergeht. Später wird er im Gespräch
zugeben: "Man versucht immer, für Kohärenz zu
plädoyieren, aber sofort wird man mich mit einem Stück
Weltliteratur widerlegen können, das von Stilbrüchen
lebt." Niemand im Seminar scheint zu wissen, wie man
eine Geschichte beurteilen soll, die Fantasy sein will.
Man fragt sich sofort, wie die Runde reagieren würde,
wenn jemand plötzlich einen Jerry Cotton vorlegen
würde. Oder einen Text, der Bestseller werden will.

Vielleicht gibt es sie also doch, die Gefahr, die hier alle
versuchen zu vermeiden: Dass aus den Regeln, die von
Text zu Text neu erfunden werden sollen, Gesetze
werden. Vielleicht war dies einer der Gründe, warum
Michael Lentz im letzten Wintersemester Gastdozent
wurde. Lentz hat über Lautpoesie promoviert und seine
Prosa lebt nicht wie die seiner Kollegen Hans-Ulrich
Treichel und Josef Haslinger von Plots oder
Spannungsbögen. Seine Prosawerkstatt hat er mit den
Worten beschrieben: "Inkohärenz kann ein Erzählmuster
sein, das Kohärenz stiftet".

In seinem Seminar wirkt er im ersten Moment wirr, dann
aber wird schnell deutlich, dass er sich nur
zurücknehmen will. Seine Stunde erinnert an einen
Hindernislauf, der allem ausweicht, was bindend werden
könnte. Wiederholt macht er klar, dass seine Sichtweise
nur eine unter vielen ist. Bei der belanglosen
Liebesgeschichte, die eine Studentin vorlegt, lobt er
hartnäckig, »dass nichts Eigentliches passiert«, wünscht
sich aber weniger "Felsbrocken von Traditions- und
Bildgeröll" - auf eine Wertung, wie er den Text unterm
Strich wirklich findet, muss die Studentin verzichten.
Obwohl sie nun sicher nicht mehr darüber weiß, was
eine gute Liebesgeschichte sein soll, eins weiß sie ganz
sicher: Man kann große Gefühle heute nicht mehr mit
dem Bild eines heraufziehenden Gewitters einfangen.

taz Nr. 7008 vom 19.3.2003, Seite 15, 386 Zeilen
(TAZ-Bericht), SUSANNE MESSMER


   User-Bewertung: -1
Versuche nicht, auf den oben stehenden Text zu antworten. Niemand kann wissen, worauf Du Dich beziehst. Schreibe lieber eine atomische Texteinheit zum Thema »GeorgeWalkerBushisteinemAttentatzumOpfergefallen«!

Dein Name:
Deine Assoziationen zu »GeorgeWalkerBushisteinemAttentatzumOpfergefallen«:
Hier nichts eingeben, sonst wird der Text nicht gespeichert:
Hier das stehen lassen, sonst wird der Text nicht gespeichert:
 Konfiguration | Web-Blaster | Statistik | »GeorgeWalkerBushisteinemAttentatzumOpfergefallen« | Hilfe | Startseite 
0.0205 (0.0035, 0.0153) sek. –– 825003510