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! schrieb am 30.10. 2001 um 19:01:24 Uhr über

Trauma

ald hat man angefangen zu sagen: Intrusionen und Flashbacks überfordern und überlasten
den Betroffenen. Wenn wir also bewußt intrusive Zustände herstellen, wenn wir bewußt
jemanden in die traumatische Situation hineinführen, wieso sollte das dann anders sein?
Intrusionen und Flashbacks sind immer wieder Retraumatisierungen, man hat das Gefühl,
man hat die Sache nicht unter Kontrolle, und bei dieser Art von Psychotherapie tun wir
genau das Gleiche! Es muß also anders gehen. Daraus hat sich dann aus der Hypnotherapie
eine Tradition entwickelt, hauptsächlich bei den Holländern, die darin besteht zu sagen: Wir
müssen die Traumaexposition vorbereiten. Diese Vorbereitung besteht darin, daß gesagt
wird: Die Copingstrategien der Patienten sind gut, etwas besseres fällt mir als Therapeut
auch nicht ein als eben das, was der Patientin eingefallen ist (Ich spreche überwiegend von
Patientinnen, weil wir in Göttingen auf der Station nur mit Frauen arbeiten.) Wir machen das,
was die Patientin selbst entwickelt hat, wir trainieren sie aber, das noch besser zu machen.

Was macht die Patientin? Jede gute Borderline-Patientin spaltet in »nur gut« und »nur böse«.
Eine solche Aufspaltung der Welt in »nur gut« und »nur böse« ist das Beste, was nach einer
Traumatisierung gemacht werden kann! Das spielt in allen Märchen eine Rolle: Die Mutter
stirbt, die Stiefmutter kommt, und es gibt eine frühere nur gute und eine spätere nur
schlechte Welt. Das ist in allen Mythen der Fall, da gibt es die nur Guten und die nur Bösen.
Das schafft Ordnung in den Affekten, das ist etwas, was wir offenkundig nach schlimmen
Lebenserfahrungen brauchen, eine nur gute und eine nur schlechte Welt. Das Dilemma, in
dem wir gegenwärtig stecken, ist, daß wir glauben, die äußere Welt, die real existierenden
Menschen könnten diesem Schema irgendwie entsprechen - und das ist nun etwas, was
leider nicht stimmt. Menschen sind immer »teils-teils«, widersprüchlich, gegensätzlich, haben
ihre eigenen Interessen, sind nie »nur gut«. Wenn wir dann sagen: "Dann sind sie eben nur
schlecht", dann sind die Beziehungen zu Ende und man hat überhaupt keine leidlich guten
zwischenmenschlichen Beziehungen mehr.

Das bedeutet: Die Therapiestrategie, die wir von den Holländern übernommen und etwas
weiterentwickelt haben, beinhaltet: Entwickeln Sie eine Borderline-Struktur, aber bitte in
sich und nicht in den zwischenmenschlichen Beziehungen! Das bedeutet: Wir legen keinen
Wert darauf, daß diese Mechanismen in der therapeutischen Beziehung an uns abgehandelt
werden, und wir legen schon gar keinen Wert darauf, daß sich in der therapeutischen
Beziehung irgendetwas von dem Trauma reinszeniert. Ich möchte vielmehr, daß das
innerseelisch abläuft. Mein Ziel ist es, daß das Gehirn seine Sachen wieder verträumen kann,
und dabei unterstütze ich die Patientin.

Erster Schritt: Spaltung. Was hat die Patientin? Die Patientin hat schlechte Bilder,
Intrusionen. Was braucht sie? Gute Bilder, ganz einfach, ganz platt, ganz vordergründig.
Traumazentrierte Psychotherapie ist ausgesprochen simpel, ausgesprochen oberflächlich.
Die Patientin braucht gute Bilder. Die Patientin sagt: "Solche Bilder kann ich mir nicht
vorstellen". Das glaube ich dann erst mal wiederum nicht; daß sich jemand für 3 bis 5
Minuten nicht vorstellen kann, es sei schön, das nehme ich ihr nicht ab. Da halte ich dagegen
und sage:" Es kann sein, daß das zunächst mal nur eine Minute geht oder 2 Minuten, aber
daß Sie eine Vorstellung entwickeln können von »nur schön«, das erwarte ich von Ihnen, das
geht, das kann man auch. D. h. nicht, daß damit alles Schlechte weg ist, sondern es heißt: für
5 Minuten möchte ich, daß Sie Urlaub machen, Urlaub von der Gegenwart, von der
Wirklichkeit - wie bei der progressiven Muskelrelaxation oder beim autogenen Training -,
und in eine nur gute Welt gehen." In dieser nur guten Welt soll folgendes vorkommen, was in
der Borderline-Struktur auch vorkommt: Es soll einen Ort geben, der nur gut und nur sicher
ist. »An diesem Ort sind Sie ganz alleine, kein anderes menschliches Wesen ist da«. Die
Vorstellungswelt soll immer märchenhaft sein, immer unrealistisch, immer weg von
menschlichen Vorstellungen. Es soll dort auch keinen guten Menschen aus der
Vergangenheit geben. Wenn das z.B. Opa wäre, dann könnte bei einem Familientreffen
jemand sagen: »Ach der Großvater in seiner Jugend, wenn Ihr wüßtet, wie der damals...«,
und schon ist eine nur gute Gestalt schlecht geworden. Das ist nicht sinnvoll. Die
Vorstellungen sollen märchenhaft, mythisch sein. Es erscheint uns wichtig, daß diese
Erwartungen nicht an reale Menschen gerichtet werden, wir werden dann immer enttäuscht.
Also ein nur guter sicherer Ort, wo man sich alleine völlig sicher und geborgen fühlt. Wenn
eine Patientin sagt: »Immer wenn ich an meinem sicheren Ort bin, fängt es an zu regnen.«,
dann sage ich: "Fühlen Sie sich damit wohl? Es kann ja sein, daß das ein schöner warmer
Regen ist.» « Nein», meint die Patientin, «es ist immer so kalt.» «Gut», sage ich, «dann stellen
Sie sich bitte vor, daß es nicht regnet." Es geht mir nicht um Material, es geht mir nicht
darum, daß irgendwie etwas dynamisch verstanden wird. Ich frage mich also nicht: "Wie
kann es denn sein, daß da immer Regen kommt?», sondern ich sage: «Bitte trainieren Sie
sich in nur schönen Bildern!", nichts anderes.

Das zweite ist: Innere Helfer, d.h. Gestalten für Mut, für Stärke, für Weisheit. Das können
Tiere sein, das können Feen sein, das können Zauberer sein, das können Heilige sein, das
können Steine sein, wie auch immer, aber wiederum keine Menschen.

Und dann ein innerer Tresor, in den schlimme Erfahrungen und Bilder weggepackt und
eingeschlossen werden können. Manchmal muß man das mehrfach täglich tun, es ist aktive
innere Verdrängung, ein aktives Bei-Seite-packen, um nicht zu viel in Flashbacks und
Intrusionen hineinzukommen.

Die Patientin sagt: »Schöne Bilder helfen mir nichtDann sage ich: "Sie haben mir gerade
lang und breit erläutert, daß Sie irgendwelche schlimmen Bilder von Sachen, die 15 Jahre
zurückliegen, völlig aus der Bahn werfen können, daß Sie dann die Symptome kriegen und
es Ihnen schlecht geht. Schlechte Bilder wirken bei Ihnen, ich bin sicher, gute wirken auch.
Außerdem gibt es einen ganzen Industriezweig, der fest davon überzeugt ist, daß gute Bilder
wirken, das ist die Werbung; die geben Millionen dafür aus, daß Sie schöne Bilder vor
Augen haben und dann Marlboro rauchen oder Camel-Schuhe tragen. Das bedeutet, gute
Bilder sind wirksam. Davon bin ich überzeugt, und ich möchte, daß Sie sich darin trainieren,
gute Welten aufzusuchen. Lernen Sie zu derealisieren, lernen Sie zu dissoziieren, trainieren
Sie sich in den Fähigkeiten, die Sie sowieso schon haben!"

Für uns ist es inzwischen fast ein Differenzialdiagnostikum, ob jemand mit diesen Techniken
gut umgehen kann oder nicht. Wenn ja, ist es meistens jemand, der/dem Dissoziativität
vertraut ist, die/der wirklich eine dissoziative Störung hat. Wenn nein, ist es häufig kein
postraumatischer Belastungszustand mit Dissoziativität, sondern Resultat einer
Entwicklungspathologie mit neurotischen Mechanismen. Diese Patientengruppe sagt: "Das ist
nichts für mich, das kann ich nicht, das will ich nicht, das hilft mir nicht, das ist nicht mein
Weg!", und sie haben auch recht. Ich stelle Ihnen hier keine Therapiestrategie vor, die nun
bei jedem und allen nützt, sondern die für eine Untergruppe schwerer
Persönlichkeitsstörungen entwickelt worden ist. Da ist sie sehr wirksam, aber nicht bei
jedem und allen.

Das gleiche gilt im Umgang mit Depersonalisation und Körperflashbacks. Hier sind
körpertherapeutische Anwendungen gut, wobei sich für uns am meisten Qui Gong und
Feldenkrais bewährt haben. Warum? Qui Gong bedeutet ähnlich wie Tai Chi achtsame
Wahrnehmung des Körpers mit Atmung, Bewegung, Muskulatur, Haut, Erdung und so
weiter, und es geht dabei nicht darum festzustellen, wie ich mich fühle, sondern es geht
darum, daß ich mich darauf konzentriere, die Brokatübungen zu machen und dabei Luft zu
holen und fest zu stehen. Niemand muß an Qui Gong glauben, das ist nicht erforderlich, es
reicht völlig aus, wenn man die Übungen macht. Jeder Tag auf Station beginnt mit Qui
Gong-Übungen, um ein Gegenkörpergefühl aufzubauen. Außerdem hat Qui Gong und
Feldenkrais nichts zu tun mit Aerobic, mit Claudia Schiffer oder Cindy Crawford oder mit
aggressiver Sexualität, es ist vielmehr eine relativ triggerarme bis triggerfreie Form der
Körpertherapie. Feldenkrais hat ebenso wenig etwas zu tun mit Spüren, mit Fühlen, sondern
es geht darum: »Warum halten Sie das linke Knie immer etwas anders als das rechte« und
»Versuchen Sie doch mal, wie das ist, wenn die Füße so richtig platt auf dem Boden stehen«
oder "Wenn Sie den Kopf nicht so halten, sondern vielleicht so, wie wirkt sich das denn auf
die Wirbelsäule aus". Sehr funktionell also. Das wird von den Patientinnen oft gut
angenommen; es sind beides Verfahren, die sich bei uns sehr gut bewährt haben. Ich weiß
von anderen Kliniken, die mit KBT, also Konzentrativer Bewegungstherapie gute
Erfahrungen gemacht haben, mit den Abgrenzübungen bitte, nicht mit den mobilisierenden!
Es geht nicht darum zu mobilisieren, sondern es geht darum, eine nur gute Welt aufzubauen,
die die Patientin vorübergehend aufsuchen kann, um sich selber aus dissoziativen Zuständen
heraus zu bringen.


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