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Charch, am 27.4. 2003 um 23:53:04 Uhr
Mittelalter

Gärten, Obstbäume und Obst im Mittelalter



Wie war die Umgebung mittelalterlicher Dörfer und Städte gestaltet, welche Pflanzen wuchsen einst in
Bauern- und Schlossgärten? Welche Bäume und Blumen kultivierten Gärtnerinnen und Gärtner mit
besonderer Vorliebe, und welche Rolle spielte Obst in der Ernährung? Solche Fragen zu Umwelt und
materieller Kultur längst vergangener Zeiten sind historisch - und besonders im
regionalgeschichtlichen Kontext nicht einfach und schnell zu beantworten. Erste vereinzelte
schriftliche Hinweise in Urkunden finden wir erst seit der Zeit um 1300. Für das Früh- und
Hochmittelalter sind wir somit auf die Ergebnisse der Archäologie und der Botanik angewiesen. Dieser
Umstand hat mich als Historikerin und Archäologin bewogen, den Kontakt mit der Botanikerin
Stefanie Jacomet, der Leiterin des Labors für Archäobotanik des Botanischen Instituts der Universität
Basel, aufzunehmen und bei der Stiftung «Mensch-Gesellschaft-Umwelt» (MGU) der Universität Basel
ein Forschungsgesuch einzureichen. Dank der Stiftung MGU konnten wir 1994 das interdisziplinäre
Projekt «Nahrungs- und Nutzpflanzen im Raume Basel vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert» in
Angriff nehmen und zwei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen anstellen - die Historikerin Margrit Irniger
(Winterthur) und die Botanikerin Marlu Kühn (Basel). Unsere Forschungen werden durch einen
namhaften Beitrag aus einem von Jürg Tauber geleiteten Nationalfondsprojekt der Kantonsarchäologie
unterstützt. Diese ist mit Forschungsstelle und Botanischem Institut der Universität die Dritte im
Bunde. Die Archäologie liefert uns nämlich die wichtigsten «Mosaiksteine» für die botanischen
Untersuchungen: Sie bestehen aus winzigen pflanzlichen Makroresten, aus Früchten und Samen von
Getreide, «Unkräutern», Kräutern, Hülsenfrüchten, Gemüse- und Salatpflanzen, Obst und Nüssen wie
auch von Faser- und Färberpflanzen. Hauptfundstelle, der die Bodenproben mit den fossilen
pflanzlichen Resten entnommen werden konnten, ist die Siedlung Lausen-Bettenach bei der Kirche
Lausen (Grabung 1985-92). Sie wurde im ganzen Zeitraum zwischen der Spätantike und dem 13.
Jahrhundert genutzt. Auf der Grabung wurden aus Fundschichten und Grubenhäusern aller Epochen
zahlreiche Bodenproben entnommen; inzwischen hat Marlu Kühn aus gegen 200 Proben die
botanischen Makroreste geschlämmt und bestimmt. Über ihre nun laufende Auswertung werden wir zu
einem späteren Zeitpunkt berichten.



Die Funde von der Grottenburg Riedfluh (Gde. Eptingen, BL, 12. Jahrhundert):

Pfirsich (Prunus persica (L.)), Süsskirsche (Prunus avium (L.)), Pflaume/Zwetschge (Prunus
domestica L.s.I., in Form und Grösse der Deutschen Hauszwetschge vergleichbar), Weinrebe (Vitis
vinifera L.), Walnuss (Juglans regia L.).

Auf der im 13. Jh. besiedelten Burg Eschelbronn (Baden-Württemberg) sind Haferpflaume, Birne,
Kulturrebe, Wald-Erdbeere, Schlehe, Kratzbeere, Rose/Hagebutte, Himbeere, schwarzer Holunder
und Traubenholunder nachgewiesen.



Archäologische Fundstellen

Von den ältesten mittelalterlichen Funden von Obst im Kanton Baselland sind namentlich diejenigen
aus der Grottenburg «Riedfluh» bei Eptingen zu erwähnen. Seit 1988 liegt die von Stefanie Jacomet
und Mitarbeiterlnnen vorgenommene Untersuchung pflanzlicher Reste, einschliesslich der verkohlten
Hölzer, im Druck vor. Auf dem Speisezettel der auf der Burg residierenden Adels- oder
Ministerialenfamilie standen Pfirsiche, Süsskirschen, Pflaumen/Zwetschgen, Weintrauben und
Walnüsse. Eine wahre Fundgrube für Obst, Beeren und Nüsse sind unter günstigen
Erhaltungsbedingungen (Feuchtbodenerhaltung) in den Städten die Auffüllungen von Gruben und
Grubenhäusern und von Latrinen. Samen und Früchte von Obst gelangten entweder mit den Fäkalien
in die Latrinen oder es handelt sich um Rückstände von der Verarbeitung zu Konservierungszwecken,
die man hinein warf und auf diese Weise entsorgte. Die materiellen Überreste zeugen vom
Obstgenuss der Bewohner und Bewohnerinnen der entsprechenden Häuser, sagen aber nur wenig
über den Stellenwert und die Bedeutung dieser Gruppe vegetabiler Nahrungsmittel im Rahmen der
Ernährung der Menschen aus. Weiter verweisen die Funde auf das Erscheinungsbild der städtischen
oder (im Falle von Burgenfunden) ländlichen Umwelt, in welcher Obst kultiviert und gesammelt wurde.



Die Funde aus einer Latrine in Freiburg im Breisgau (Mitte 13. bis Anfang 14. Jahrhundert):

Haselnüsse, Walnüsse, Erdbeeren, Kratzbeeren, Brombeeren, Himbeeren, Heidelbeeren,
Hagebutten, Schlehen, Birnen, Süss- und Sauerkirschen, Pflaumen/Zwetschgen, Maulbeeren,
Pfirsiche.

Eine Zusammenstellung anderer Ergebnisse aus botanischen Latrinenuntersuchungen in 14
südwestdeutschen Städten erbrachte eine Liste mit den genannten Sorten von Kulturobst und
zusätzlich noch folgende Sorten:

Kulturobstsorten: Esskastanien, Aprikosen, Quitten (seltener Nachweis); Wildobstsorten:
Heidelbeeren, Schlehen, schwarzer Holunder, Weissdorn, Judenkirsche, Vogelbeere, Attich, roter
Hartriegel, gelber Hartriegel, Mispeln (seltener Nachweis). Bei den Früchten von Hartriegel und
Mispeln wäre wohl ausser an die Ernährung auch an eine medizinische Verwendung zu denken.



Schriftliche Zeugnisse

Im folgenden werde ich aus historischer Sicht einige Aussagemöglichkeiten schriftlicher Zeugnisse
(sogenannter Quellen) zum Thema zusammenstellen. Ich beschränke mich auf den städtischen und
ländlichen Bereich und klammere das am besten erforschte Thema der Klostergärten aus; dazu liegt
ein reiches Schrifttum der historischen Teildisziplinen Geschichte der Hortikultur, der
Pflanzenheilkunde (Pharmakologie) und der Medizin vor. Ohne Zweifel förderten die Nonnen und
Mönche mit ihrer praktischen und theoretischen, botanisch-medizinischen Bechäftigung mit Pflanzen
und Heilpflanzen die Kenntnis von Gartengewächsen und Anbaumethoden entscheidend, wovon ein
reiches Schrifttum zeugt. Erwähnt seien hier nur die Werke Hildegards von Bingen (1098-1179) und
von Albertus Magnus (um 1200-1280) über den Gartenbau. Weniger gesprächig sind in dieser Hinsicht
die schriftlichen Quellen aus der Welt der Laien in den Städten und auf dem Lande.

Berücksichtigt man, wie karg und eintönig die Ernährung der meisten mittelalterlichen Menschen im
allgemeinen war, so wird man sich nicht darüber wundem, dass sie dem Obstgenuss frönten. Eines
der ältesten Zeugnisse davon aus dem Gebiet des Oberrheins findet sich in der im 10. Jahrhundert
verfassten Vita des Heiligen Fridolin. Es wird berichtet, wie er in seinem Kloster Säckingen die Kinder
vor der harten Hand ihres spielfeindlichen Lehrers beschützte, den er mit der Aufsicht über die Knaben
im Kloster betraut hatte. Wenn die Knaben in die Äste der Bäume kletterten, um Obst zu pflücken,
habe Fridolin ihnen den Rücken zum Herabsteigen geboten. Wenn sie dann vor ihrem Lehrer
davonliefen, habe er sogar geraten: «Lauft weg, ihr Armen, lauft, dass der nicht kommt, der euch ohne
Mitleid straft!» In spätmittelalterlichen Dorfordnungen und Weistümern findet sich gelegentlich der
Hinweis auf Schwangere, die es nach Obst gelüstet und die im herrschaftlichen Weinberg Trauben
abschneiden dürfen. In der Basler Vorstadt St. Alban oblag dem Bannwart die Pflicht, den
Traubendiebstahl zu verhindern; auf Bitten eines kranken Menschen oder einer Schwangeren sollte er
diesen eine oder zwei Trauben abbrechen: «item, wenn den Bannwarten ein armer, kranker Mensch
oder eine schwangere Frau begegnet - und sollte auch niemand wissen, woran es dem anderen fehlt -
wenn er oder sie um eine Traube bittet, so sollten sie beim nächsten Eingang [in den Weinberg]
hineingehen und einen oder zwei Trauben abbrechen und sie dem Bittenden umstandslos geben

Den Garten sahen vornehmlich die von der mühsamen Handarbeit entbundenen Menschen der
adeligen und städtisch-bürgerlichen Oberschicht als Ort des ästhetischen Genusses und der
Rekreation, und im Spätmittelalter entwickelte sich der beliebte und literarisch vielbesungene Typ des
Lustgartens, mit den Elementen der Blumenbeete, Bäume, Rasenbank und zentralem Brunnen. Seit
der Zeit um 1300 verfügen wir über Anhaltspunkte dafür, dass der Adel der Basler Region die
Schönheit von Bäumen durchaus wahrnahm und durch gezielte Pflanzungen die Gestaltung der
unmittelbaren Umgebung seiner Burgen an die Hand nahm. So sind in Urkunden von 1300 und 1318
Wein- und Obstgärten bei der Burg Mönchsberg bei Aesch erwähnt, und es ist von «arbores
plantatas, dietas Zweigen», d.h. von Baumpflanzungen, in der Nähe der Burg die Rede. In Baselbieter
Dörfern kommen Flurnamen mit dem Wortstamm «Zweien» vor. Die Nähe des Flurnamens Zweien in
Bubendorf zum Wald führt zur Vermutung, «dass am Waldrand Wildbäume standen, die veredelt
wurden. Die Bezeichnung für den Veredelungsvorgang dürfte später als Flurname auf das angrenzende
Kulturland übertragen worden seinEiner der frühesten Nachweise für einen Kirschgarten findet sich
in einer Verkaufsurkunde aus dem Jahre 1299, wo vom Weiherschloss Binningen, dem «wiger und
den kirsegarten nebent dem wiger» die Rede ist. Im Jahr 1450 wird in einer Haushaltsrechnung des
Landvogts im Birseck ein Kirschgarten hinter dem Schloss Birseck erwähnt. 1521 verkaufte Hans
Friedrich von Eptingen der Stadt Basel als sein freies Eigen das Schloss Pratteln, zu dem der
Kirschgarten, der Burggarten, eine Scheune und die Kelter gehörten.

Heute ist sich die Forschung in der Annahme einig, dass die Kultur von Obstbäumen seit dem 13.
Jahrhundert einen Aufschwung nahm, vermutlich als Ergebnis arabischer Einflüsse in Süditalien und
Spanien einerseits und von lokalen Bemühungen andererseits. Man versuchte, wild wachsende
Baumarten zu kultivieren und durch Pfropfen die Qualität der Früchte zu verbessern. In welcher Weise
und in welchen Zeiträumen in den europäischen Regionen sich die Baumkultur und die Hortikultur
allgemein entwickelten und welche Varietäten verschiedener Kulturpflanzen gezüchtet wurden, ist aber
praktisch noch unerforscht. Mittelalterliche Agrarschriftsteller widmeten der Kunst des Pfropfens viel
Raum in ihren Schriften. Ein bekanntes Beispiel ist das um 1305 vollendete Werk «Libro della
Agricoltura» des Bolognesers Piero de Crescienzi, das 1471 erstmals gedruckt wurde und als erstes
europäisches Lehrbuch der Landwirtschaft auch im Reich grosse Verbreitung fand. Mittelalterliche
Quellen enthalten wenig Informationen über die Varietäten von Früchten wie beispielsweise von Äpfeln
oder Birnen, von denen die Römer mindestens 32 bzw. 60 Arten gekannt hatten. Hingegen ist die
paläoethnobotanische Untersuchungsmethode in der Lage, über die Morphologie und Entwicklung
einzelner Früchte wie beispielsweise Schlehen und Pflaumen Aussagen zu treffen. Welche
Obstbäume und Sträucher werden nun in spätmittelalterlichen Schriftquellen des Basler Raumes
genannt? Allgemein ist vorauszuschicken, dass über Nutzgärten in der Stadt und auf dem Lande nur
spärliches Material vorliegt. Wie aus Urkunden, Gerichtsakten, Güterbeschreibungen und normativen
Quellen (z.B. Dorfordnungen) hervorgeht, sind Gärten überall präsent: sie werden als «Garten»
(lateinisch «hortus»), «Weingarten», «Baumgarten» oder «Krautgarten» bezeichnet. Der Begriff des
«Krautgartens» verweist auf die wichtigsten Gemüse - seien es verschiedene Kohlarten (Brassica
oleracea), Krautstiele oder Mangold (Chenopodiaceae), Gartenmelde und ähnliches. Über die
Gartenanlage als Ganzes, die Bepflanzung der Beete mit Gemüse, Kräutern und Blumen und über
den Bestand an Obstbäumen und Sträuchern ist aus solchen Erwähnungen nichts zu erfahren.
Obstbau wurde auf zweierlei Arten betrieben: Einerseits durch Pflanzung von Einzelbäumen in der
offenen Flur und zweitens in den Baumgärten, also in umzäunten Sondernutzungsbereichen. Diese
unterlagen nicht dem genossenschaftlichen Flurzwang, sondern der Individualnutzung, ebenso wie die
in der Feldflur ausgegrenzten Bünten und Krautgärten. Bei der Frage nach den Arten haben wir uns im
allgemeinen mit Einzelerwähnungen von Obstbäumen zu begnügen. Sie sind jenen Schriftzeugnissen
zu entnehmen, in denen es um genaue Ortsbeschreibungen und um die Erfassung von Parzellen in
der ackerbaulich genutzten Feldflur geht.



Bäume in der Kulturlandschaft

In Zeugenaussagen in Gerichtsfällen, in Berainen (das sind Güterbeschreibungen) und
Zinsverzeichnissen werden häufig Obstbäume erwähnt: Als markante Einzelbäume gliedern sie
zusammen mit Laub- und Nadelbäumen die offene Kulturlandschaft. Sie stehen am Strassenrand oder
sie markieren in der Feldflur die Grenzen von Parzellen und der Zelgen. Am häufigsten werden
Birnbäume erwähnt, seltener Apfel- und Nussbäume, kaum je Kirschbäume. Dieser Befund steht mit
den botanischen Auswertungen von Grabungen in Süddeutschland und der Schweiz in Einklang, wo
Äpfel und Birnen sowie verschiedene Zwetschgen- und Pflaumensorten besonders häufig
nachgewiesen sind.



Die in der Urkunde von 1463 als Grenzmarken aufgezählten Bäume im Pratteler Berein: 1 Birnbaum
in einem Rebacker, 1 wilder Birnbaum oberhalb des Weges nach Liestal, 1 junge Tanne zwischen
den nachfolgenden 2 Kirschbäumen, 2 Kirschbäume in einer Matte, 1 Schiltbirnenbaum auf einer
Hofstatt, 1 grosser Nussbaum, 1 Nussbaum, 1 grosser Nussbaum, 1 junger Nussbaum über einem
Graben, 1 wilder Birnbaum, 1 Staffelbirnbaum zuoberst auf einer Halde, 1 hoher Schiltbirnenbaum, 1
Wasserbirnenbaum in einem Rebacker.



Im Zusammenhang mit einem Streit zwischen der Stadt Basel und Junker Heinrich von Eptingen um
Rechte in Sissach nahm im Jahr 1435 der Basler Stadtschreiber eine Zeugenbefragung, eine
sogenannte «Kundschaft», über die Sissacher Allmend auf. Ein Zeuge erwähnte dabei einen
Speierling, einen «sperboum», der unterhalb der Strasse von Sissach nach Basel stand. Der
Speierling (Sorbus domestica) ist im heutigen Kanton Baselland nur noch mit wenigen Exemplaren
vertreten. Im Jahr 1463 lag Ritter Hans Bernhard von Eptingen mit der Stadt Basel wegen der
Gerichtsbarkeit und der Ausdehnung des eptingischen Gerichtsbezirks im Banne Pratteln im Streit;
Spruchmänner beider Seiten beschlossen, gemeinsam den Verlauf des Pratteler Dorfetters
abzuschreiten. Mit Hilfe von über einem Dutzend Bäumen wurde er genau beschrieben, und man
einigte sich darauf, auf die Grenzlinie Marksteine mit den Wappen Basels und der Eptinger zu setzen.

Auffallend ist die grosse Zahl von Birnbäumen, die sowohl in wilder als auch in Varietäten der
kultivierten Sorte wuchsen. Daneben gab es offenbar auch recht viele Nussbäume, deren Früchte sich
durch kalte Pressung zu Speisel, dem so genannten «Baumöl» verarbeiten liessen. Dieses Bild
dürfte, wie agrargeschichtliche Untersuchungen im Oberbaselbiet ergeben haben, durchaus
repräsentativ für die Gegend sein. Mireille Othenin-Girard konnte für das Farnsburger Amt nachweisen,
dass Birnbäume in den Quellen des 15. Jahrhunderts am häufigsten genannt wurden und auch
Nussbäume eine Rolle spielten. Vereinzelt wuchsen an klimatisch geeigneten Plätzen offenbar auch
Kastanienbäume (vermutlich Edelkastanien), die ihres dauerhaften Holzes wegen beliebt waren. Die
verschiedenen Bezeichnungen für Birnbäume spiegeln die beachtliche Varietätenvielfalt dieses wegen
seiner süssen und gut konservierbaren Frucht beliebten Baumes. Vereinzelt fand Othenin-Girard
Belege für die Pflaumenschlehe, hingegen nur einen einzigen Beleg für Kirschbäume (Ostergäu bei
Rünenberg) und keinen für Zwetschgenbäume. Dennoch könnten auch diese Arten damals schon
gezielt in den Baumgärten angebaut worden sein, über welche jedoch die Güterberaine wenig
Aufschluss geben. Jedenfalls war der Kirschbaum um 1500 im Grenzgebiet zwischen dem Amt
Farnsburg (Sisgau) und dem österreichischen Frickgau schon heimisch, wie die Erwähnungen in
Kundschaften über die Herrschaftsgrenzen zeigen. Dabei handelte es sich nicht um die uns heute
vertrauten Kirschbaumhaine, sondern nur um einzeln stehende Bäume. Der Obstanbau auf dem Lande
diente nicht nur der Selbstversorgung, sondern der Verkauf von Kulturobst und Sammelfrüchten auf
dem städtischen Markt stellte für die Bauernbetriebe eine willkommene Einkommensquelle dar.



Die Namen für Birnensorten in Quellen des 15. Jahrhunderts: Byrborn, Staffelbirboum, Schibler,
keibsbirboum, speckbirboum, wisbirboum, schwartzen birbom, küngsbirboum, scheibbirboum,
wilbirbom, heubirenbom, schiltbirenbom.



Normative Quellen

Die Sorge um die Erhaltung bestehender (wilder) Obstbäume und die Förderung der Kultivierung
veranlasste die Dorfherrschaft wie auch die Bauern, in den Dorfordnungen entsprechenden
Bestimmungen zu verankern, die in der Regel mit Holzschutzbestimmungen kombiniert sind. Ein
gutes Beispiel ist die Pratteler Dorfordnung: «Wer einen Kastanienbaum [vermutlich Edelkastanie] fällt
oder ausgräbt, oder wer eine Tanne unerlaubt - sei es auf dem eigenen Lande oder sonstwo - fällt oder
abhaut, der muß dem Herrn eine Buße von einem Pfund Pfennig bezahlen. Wer einen wilden
Kirschbaum fällt, der wird mit einem Pfund gebüßt. Wer einen Nußbaum in nur 30 Schuh Entfernung
von einem Rebacker pflanzt oder stehen hat, der soll ihn fällen, bei einem Pfund Strafe. Wer roden
will, der soll auf einer Jucharte Land nach Anweisung des Bannwarts sechs der besten
fruchttragenden Bäume stehen lassen. Wer dies unterläßt, der zahlt dem Herrn eine Buße von 3 lb
[Pfund). Fällt aber einer alle diese Bäume, so büßt er mit der dreifachen Summe. Item, wer wilde
Birnbäume auf seinem Land hat, der mag für sich und sein Hausgesinde Birnen ernten und nachhause
nehmen, doch er darf sie nicht dem Vieh verfüttern. Wer aber dieser Bestimmung zuwiderhandelt und
sein Vieh mit Birnen füttert, der bezahlt seinem Herrn ein Pfund Buße.» Nächtlicher Diebstahl von
Obst sollte mit 10 lb gebüsst werden. Bemerkenswert sind hier die Schutzmassnahmen für wilde
Obstbäume in Neureutegebieten und die Tatsache, dass Birnen gelegentlich als Viehfutter verwendet
wurden. Nussbäume durften nicht in der Nähe von Rebenpflanzungen gesetzt werden, damit ihr
schädlicher Schatten nicht das Rebenwachstum hinderte. An Nussbäume knüpften sich in der
Vorstellung des Volkes negative Erinnerungen, beispielsweise an Hinrichtungsszenen oder
Kindsmord. So soll in Pratteln ein Pferdedieb an einem Nussbaum aufgeknüpft worden sein, weil kein
Galgen zur Verfügung stand. Laut einem Protokoll einer gerichtlichen Kundschaft von 1504 will ein
alter Mann aus Magden gesehen haben, «das ein frow zu Hersperg ein jung nüw geboren kind under
einem nussbom vergraben hat».

Die städtischen Gesetze sahen für Feld- und Gartendiebstähle sehr harte Strafen vor. Diese Vergehen
zogen schwere Leibesstrafen nach sich. Als besonders verwerflich galt der nächtliche Gartenfrefel:
«thut iemands dem anderen schaden und das geschieht by nacht, das will man für ein diepstal
achten, an lyb und leben mit dem strangen oder usstechung siner ougen one gnad strafen. beschicht
es aber by tag, dan soll der, so also den schaden gethan den banwarten den einig, ouch schaden
abtragen und darzu gedanklich angenommen, in das halsysen gestellt, des lands verwysen, durch die
baggen gebrent oder ime die oren abgeschnitten werden ... » lnwieweit solche rigorosen Massnahmen
in der Praxis durchgesetzt wurden, müsste anhand von Gerichtsakten systematisch überprüft werden.
Gärten und Weingärten in der Stadt und im nahen Umland sicherten die Versorgung des städtischen
Marktes mit frischen, nicht transportfähigen Nahrungsmitteln und mit Wein; sie prägten auch die
«Stadtlandschaft». Die Gartenarbeiter und -arbeiterinnen spielten im sozialen Gefüge der
mittelalterlichen Stadt eine unübersehbare Rolle. Sie waren in der in Basel in der Mitte des 13.
Jahrhunderts entstandenen Zunft zu Gartnern, einer der ältesten Gärtnerzünfte im Reich, organisiert.
Die Weinarbeiterlnnen waren Mitglieder der aus den beiden Teilzünften der Grautücher und Rebleuten
gebildeten Zunft. Als unselbständige Lohnarbeiter arbeiteten sie vorwiegend in fremden Gärten und
Weingärten, im Dienste der landbesitzenden Klöster, des Adels oder von wohlhabenden Bürgern. Ein
wichtiger Arbeitgeber war ferner das Spital, das über ausgedehnten Landbesitz verfügte und seine
Ökonomie auf die Marktproduktion von Getreide, Wein und Gartenprodukten abstützte. Die Gärtner
und Gärtnerinnen ergänzten ihr Einkommen mit Einkünften aus dem Saatguthandel (Gernüsesaatgut
wie Zwiebel-, Rettich- und Rübensamen) und aus dem Verkauf von Produkten aus eigenen,
gepachteten Gartenparzellen.



Obsteinkäufe des Basler Spitals nach den Rechnungen der frühen 1480er Jahre: Feigen,
Meertrauben, Trauben, Mandeln, Kirschen, schwarze Kirschen, Erdbeeren, Äpfel, Birnen,
Regelsbirnen, Schlehen, Nüsse.



Speiseplan des Spitals

Über die lokale Obstproduktion geben Rechnungsbücher mit Einträgen über Nahrungsmittelkäufe und
-verkäufe eine alles andere als erschöpfende Auskunft. Das zeigt die Gegenüberstellung von Listen,
die anhand schriftlicher Zeugnisse erarbeitet sind, mit den paläoethnobotanischen
Untersuchungsergebnissen zu Grabungsfunden: Pflanzenreste, die in Erdproben von Kulturschichten
in Burgen und von Latrinen nachweisbar sind, dokumentieren die Vielfalt der konsumierten Früchte.
Immerhin lässt sich aus Rechnungsbüchern von Klöstern und Spitälern eine Reihe von Früchten
zusammenstellen, die für die Verpflegung der Mitglieder der Kommunitäten auf dem Markt eingekauft
wurden. Die folgenden, summarischen Angaben zum Obstgenuss im 15. Jahrhundert sind aus der
Analyse der Küchenausgaben im städtischen Heilig-Geistspital gewonnen; dieser Archivbestand ist
eine der ergiebigsten Quellen zur Geschichte der Agrarproduktion, der Hortikultur und der Ernährung.
Quantitativ fallen im Küchenbetrieb des Basler Spitals ausser den einheimischen Äpfeln und Birnen
die imponierten Mandeln, getrockneten Feigen und Meertrauben (das sind Rosinen) ins Gewicht, die
man zur Fabrikation von Konfekt und zur Zubereitung von festlichen Fleischspeisen und Saucen
benötigte. Gedörrte Äpfel und Birnen kamen noch bis weit ins Frühjahr hinein auf den Tisch. Kirschen
wurden offenbar ebenfalls gedörrt, und in dieser Form pflegte man sie unter anderm zur Fabrikation
von Osterküchlein zu verwenden. Grundsätzlich riet die mittelalterliche Medizin vom Genuss frischer
Früchte ab und liess allenfalls Kirschen gelten. Doch man verarbeitete auch diese Früchte zu
Kirschenmus, das im Frühsommer mit Getreide- oder Hirsebrei angerichtet eine schmackhafte
Mahlzeit ergab. Auch aus Holunderbeeren konnte man ein vitaminreiches Mus kochen. Regelmässig
kehren in den Küchenrechnungen die Hinweise auf die Zubereitung von Schlehenkompott,
sogenanntem »Gumpost« wieder, wofür man Honig und Gewürze wie Ingwer und NelkenNägel!»)
benötigte. Das Einkochen grosser Mengen von «Gumpost» aus Steinobst muss sehr aufwendig
gewesen sein. Möglicherweise sind die in Latrinen gefundenen Obststeine, wenn sie in grossen
Mengen vorkommen, als Küchenabfall aus solchen Konservierungsprozessen zu betrachten. Diese
knappen Ausführungen haben provisorischen Charakter. Gegenwärtig ist Margrit Irniger damit
beschäftigt, neben dem Studium von Gartenbauliteratur die Rolle der Nahrungspflanzen, die Formen
ihrer Verwertung und des Konsums anhand des Basler Heilig-Geist-Spitals zu untersuchen.

Kulturobst und Sammelfrüchte boten in einer Zeit, in der die Ernährung breiter Bevölkerungsschichten
eintönig war und Brot, Getreidebrei, Erbsmus und Suppen in steter Wiederholung auf den Tisch
kamen, eine willkommene Ergänzung. Analysiert man die Nahrungsmittelausgaben von Klöstern,
Spitälern oder anderen Kommunitäten für die Verpflegung ihrer Arbeitskräfte, so erkennt man, dass im
Gesamtbudget für Lebensmittelkäufe die Ausgaben für Fleisch, Fisch und Milchprodukte bedeutend
stärker ins Gewicht fielen als die vergleichsweise geringen Kosten für Gemüse und Obst.





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