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wuming schrieb am 21.7. 2008 um 02:53:45 Uhr über

Globalisierung

Krysmanski Publikationen
H.J. Krysmanski

Machteliten und Globalisierung
Einführung in die Ad-hoc-Gruppe 'Sociological Imagination and the Power Elite. Zur Aktualität von C. Wright Mills', 30. Soziologie-Kongress, Köln, 28.9.2000



Liebe Kolleginnen und Kollegen:

Beginnen wir mit einem Symptom.

Jeremy Rifkin hat ein neues Buch geschrieben. Es trägt den angemessen komplizierten Titel 'Das Zeitalter des Zugriffs: Die neue Kultur des Hyperkapitalismus, die das Leben zu einer rundum zahlungspflichtigen Erfahrung macht' ('The Age of Access: The New Culture of Hypercapitalism Where All of Life Is a Paid-For Experience'). 50 Jahre nach der 'Dialektik der Aufklärung' steht die Kulturindustrie tatsächlich im Zentrum der kapitalistischen Entwicklung. »AOL-Time Warner, Disney, Viacom und Sony Corp.«, sagt Rifkin, »sind nicht nur Medienkonzerne, sie sind die globalen Kontrolleure des Zugangs zum gesamten Spektrum kultureller Erfahrungen, des Tourismus, der Themenparks und Unterhaltungszentren, des Gesundheitsgeschäfts, von Mode und Cuisine, Sport und Spielen, von Musik und Film und Fernsehen, von Buchverlagen und Zeitschriften...Dadurch, dass sie die Kommunikationskanäle kontrollieren, und dadurch, dass sie die Inhalte formen, die gefilmt, gesendet oder ins Internet plaziert werden, gestalten [sie] die Erfahrungen von Menschen überall auf der Welt. Diese Art der überwältigenden Kontrolle menschlicher Kommunikation ist beispiellos in der Geschichte

Alle transnationalen Konzerne haben inzwischen Teil an diesem Geschäft. Sie wollen nicht nur unsere Arbeitszeit, sie wollen auch unsere Freizeit, und unseren Tiefschlaf dazu. Sie wollen uns unsere Tage und Nächte abkaufen, im Paket, möglichst billig, und uns zurückverkaufen, portionenweise, möglichst teuer. Das ist die glänzende Idee der totalen, globalen Mehrwertproduktion. Und dieser Hyperkapitalismus ist, um ein Missverständnis gleich auszuräumen, nicht anonym, nicht subjektlos - wie uns die Luhmannianer weismachen wollen. Nein: es entsteht eine transnationale Elite, im Verhältnis zur Weltbevölkerung kleiner, im Vergleich zu früheren Herrschaftsverhältnissen mächtiger als jede herrschende Klasse zuvor.

Ja, und nun das Symptom.

Wie noch hiess der Titel des Rifkin-Buches, richtig übersetzt? 'Das Zeitalter des Zugriffs: Die neue Kultur des Hyperkapitalismus, die das Leben zu einer rundum zahlungspflichtigen Erfahrung macht'.

Es kann nicht nur ein Anfall von Dummheit sein, dass die deutsche Ausgabe dieses Buchs einen völlig missglückten Titel bekam. Der Campus-Verlag nennt Rifkins Buch 'Access: Das Verschwinden des Eigentums'. Wo ist der Zugriff? Wo ist der Kapitalismus? Wo ist die Kultur? Es ist wohl einfach so: das deutsche sozialwissenschaftliche Establishment WILL von der Welt nichts wissen.

Übrigens: auch die deutsche Rezeption von C. Wright Mills hat seinerzeit unter solchen katastrophalen Übersetzungsfehlern gelitten: 'The Sociological Imagination' wurde 'Die soziologische Denkweise', 'The Power Elite' wurde 'Die amerikanische Elite', 'White Collar' wurde 'Menschen im Büro'.

Worüber diskutieren wir an diesem Nachmittag?

Vor einigen Jahren vertraute der Co-Chairman des Rates des World Economic Forum in Davos, Maurice Strong, einem Reporter die groben Umrisse eines Romans an, den er, Strong, gern zu Papier brächte. Jeden Februar kämen ja in Davos über tausend Chief Executive Officers, Regierungschefs, Finanzminister und führende Wissenschaftler zusammen, um den Gang der Welt für das folgende Jahr zu besprechen. »Was würde passieren«, so Strong, »wenn eine kleine Gruppe aus dieser großen Runde zu dem Schluß käme, daß das Wohlergehen der Erde in erster Linie durch die reichsten Industrieländer gefährdet sei?...Um den Planeten zu retten, entscheidet die Gruppe, es sei ihre Pflicht, den Zusammenbruch der westlichen Zivilisation herbeizuführen!« Maurice Strong redet sich heiß: »Diese kleine Gruppe von world leaders bildet also eine Verschwörung mit dem Ziel, die Weltwirtschaft aus dem Lot zu bringen. Es ist Februar. Alle entscheidenden Leute sind in Davos. Die Verschwörer gehören zur Führungselite der Welt. Sie haben sich in den globalen Waren- und Aktienmärkten positioniert. Mittels ihres Zugangs zu den Finanzmärkten, zu den Computernetzen und zu den Goldreserven erzeugen sie eine Panik. Dann verhindern sie, daß überall auf der Welt die Finanzmärkte schließen. Sie blockieren das Getriebe. Sie heuern Söldner an, welche die übrigen Konferenzteilnehmer in Davos als Geiseln festhalten. Die Märkte bleiben offen...« Der Reporter kann seine Überraschung nicht verbergen. Maurice Strong, Co-Chairman des Rates des World Economic Forum, kennt diese Weltelite. Er sitzt im Zentrum der Macht. Er könnte das alles tatsächlich in Gang bringen. Strong fängt sich und schließt: »Ich sollte so etwas eigentlich gar nicht sagen

'Traditionelle' Regierungserfahrung spielt bei der Neuvermessung des Globus nur noch die zweite oder dritte Geige. Die Fähigkeit dagegen, von beweglichen Plattformen aus die 'geopolitische Dynamik' richtig zu sehen und einzuschätzen, steht immer höher im Kurs. Hier brauchen die transnationalen Funktionseliten auch kompetenten Nachwuchs. Die Kompetenz für neue Methoden der kognitiven 'Kartierung', für die Erprobung neuer Politikformen wird folglich intensiv gefördert. Es gibt dafür inzwischen ein gewaltiges Netz von Gruppierungen und Organisationen. Die Spinnen in diesem Netz bleiben die multinationalen Konzerne. Es ist eine sehr reale globale Machtstruktur - und dazu, sagen manche, auch eine konspirative.

Liaisons Dangereuses, wie es auf manchen entsprechenden Websites heisst. Das 'World Economic Forum' gibt auf seinen Konferenzen den Vertretern der wichtigsten Konzerne die Möglichkeit, Spitzenpolitiker, Medienleute und die Leiter von Organisationen wie der World Trade Organization, der Weltbank und der OECD zu treffen. Der 'Bilderberg Club', gegründet 1954, gilt als eine der mächtigsten informellen Gruppierungen in Wirtschaft und Politik. Die 'Trilateral Commission' ging aus dem Bilderberg Club hervor, um Asien, insbesondere Japan, miteinzubeziehen. Tausende von Unternehmen aus 130 Ländern gehören zur 'International Chamber of Commerce' (ICC). Andere Organisationen dieser Art sind das 'Business Industry Advisory Committee' der OECD; das 'World Business Council on Sustainable Development'; die 'Global Climate Coalition' der Öl- und Autoproduzenten; die 'International Federation of Employers'; das 'US Council on International Business' (USCIB) ; der 'Business Roundtable' der CEOs der größten US-Konzerne; der 'European Roundtable of Industrialists' (ERT); das 'Global Business Network' usw. Schließlich das 'Council on Foreign Relations', gegründet 1921: nach meiner Einschätzung noch immer die interessanteste Denkfabrik. Die Aktivitäten aller dieser Organisationen sind in den letzten Jahren dramatisch angestiegen. Ihr Einfluß wächst.

Was eigentlich weiss die deutsche Soziologie von diesen Netzwerken?

Und was für Vorstellungen hat die Soziologie von Politik und Regierungspolitik?

Wenn es beispielsweise einen gemeinsamen Nenner für das Verhalten der neuen politischen Klasse der 'westlichen Welt' gibt, von Clinton bis Blair bis Schröder bis Fischer bis Putin, so ist es deren 'Diensteifrigkeit' - ohne dass sich klar erkennen liesse, wem gegenüber. Nur eben eines ist sicher: sie verhalten sich wie Hofschranzen. Sie zeigen wenig Loyalität nach 'unten', aber irgendwie scheint ihnen ein 'Oben' erschienen zu sein, dem sie Tag und Nacht zuarbeiten.

Auch das Bildungswesen wird nach dem Motto 'Stets zu Diensten' umgebaut. Was heisst denn 'Privatisierung des Bildungsbereichs'? Nichts anderes, als dass in die Ausbildung von Experten und Generalisten noch ein weiteres Element der Servilität injiziert werden soll. Wie anders ist der Stolz von Professoren über diesen oder jenen Sponsor zu verstehen? Hier geht es stracks vom Staatsdienertum zum Dienertum.

Die wissenschaftspolitischen Konzepte für solchen Umbau kommen in der Management-Sprache der Systemtheorie daher. Dirk Baecker von der Universität für den höheren Privatberaternachwuchs Witten/Herdecke schreibt: »Unsere Krise der Universität ist dem Umstand geschuldet, dass die Matrix, die unsere Universität produziert, gesellschaftlich nicht mehr brauchbar ist- »Die Gesellschaft sucht nach einer neuen Universität, deren Qualität...in der Fähigkeit [liegt], die Performanz der eigenen Weltkonstruktionen bei der Beobachtung der Probleme und, schlimmer noch, ihrer Lösungen in Rechnung zu stellenDie globale Power Elite ist in der Tat - und Baecker schlägt das vor - an postmodernen Akademien interessiert: an elitären Schulungsprogrammen, in denen »die universitäre Differenz der Schulen und Disziplinen« zurückgenommen und »wieder Elemente des Gesprächs, ja sogar Elemente der peripatetischen Interaktion eingeführt« werden. So weit, so gut.

ABER: zu welchem Zweck das alles? David de Pury und Jean-Pierre Lehmann, zwei führende Funktionäre der Evian Group, eines besonders aggressiven Forums zur Förderung der Global Liberal Economy, geben die Antwort: »This is a time that urgently calls for global corporate statesmanship.«

Das nämlich ist das Bildungsziel der den Globalisierungsprozess strukturierenden und durch ihn strukturierten Machteliten: Global Corporate Statesmanship. Und diesem Ziel dienen inzwischen auch die Soziologen in Forschung und Lehre, jedenfalls dort, wo sie überhaupt noch dienen dürfen und nicht schon bei den Ökotrophologen gelandet sind...

Hermann Schwengel, Mitglied der SPD-Grundwertekommission, hat an verschiedenen Stellen bezüglich der soziologischen Perspektive auf globale Machtkonflikte die Parole ausgegeben: WEDER Davos Man NOCH Seattle People. Weder die weissen Männer in dunklen Anzügen, welche die transnationalen Konzerne dieser Welt lenken, noch die Graswurzel-Gegner der WTO, sondern...Gerhard Schröder? Den Sozialdemokraten fällt doch immer wieder ein dritter Weg ein...

Aber: gegen Global Corporate Statesmanship hilft nur eines: Intellectual Craftsmanship. Dieses Konzept lag C. Wright Mills wie kein anderes am Herzen. Ohne Intellectual Craftsmanship gab es für ihn keine soziologische Imagination. Auch wahre Kunst besteht ja zu neunzig Prozent aus methodischem Fleiss.

Und so werde ich hier, zwecks Erforschung der Rolle von Machteliten und Herrschaftsnetzwerken im Globalisierungsprozess, eine neue Methode aus der Taufe heben: The Method of Hostile Observation. Nicht mit dem letzten Ernst vielleicht, aber immerhin. Im kritischen Visier sind die folgenlosen Beobachtungsorgien aus dem Krähennest, der weltenwandernde Voyeurismus zweiter und dritter Ordnung. Anregung bieten die Observierungspraxen der Militärstrategie und -taktik...und die alltäglichen Feindseligkeiten der Konkurrenzgesellschaft...und die umfassende feindliche Überwachung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an ihren Computerarbeitsplätzen und beim Konsum. Wer Machteliten 'verstehen' will, setzt ausserdem an bei der wechselseitigen feindlichen Beobachtung in der Konzernwelt selbst, bei der Industriespionage, bei den hostile take-overs und - vor allem - bei der Scheinheiligkeit des guten gesellschaftlichen Umgangs, der dort gepflegt wird. So erst fügt sich die Soziologie ein in die wirkliche Beobachtungspraxis dieser Welt...

In aller Freundschaft also: The Method of Hostile Observation, 'von unten' und nicht ohne eigenes, ureigenstes Interesse...

Nun glaube aber niemand, dass hier ergraute 68er noch einmal die Faust erheben. Der Gestus der feindlichen Beobachtung derer da oben ist der Gestus der verunsicherten, der wütenden, der 'frustrierten' Mittelklassen, der Gestus von White Collar. Im Cluetrain-Manifesto, das derzeit Aufsehen erregt, haben führende Werbeleute aus der Konzernwelt gegen das Herrschaftsdenken der Global Corporate Players 95 Thesen, wie einst in Wittenberg, formuliert: The Man in the Grey Flannel Suit als der Martin Luther des 21. Jahrhunderts...

Die Geschichte geht weiter. Unter den Bedingungen der Postmoderne fliegen die alten und die neuen Mittelschichten, in einem historischen Urknall, auseinander. Und gerade weil diese Explosion stattfindet, mit unabsehbaren Folgen, wächst sowohl der 'modernen' Politik als auch der 'modernen' Soziologie eine wichtige Funktion zu. Die eine, die Politik, ist ja der institutionalisierte Betätigungsdrang, die andere, die Soziologie, die institutionalisierte Selbstbeobachtung der Middle Classes. Beide setzen im Augenblick alles daran, 'Mitte' zu konstruieren, 'Mitte' zu okkupieren, an die Stelle der zerstobenen Mittelschichten die Fiktion der Mitte zu setzen.

Der Erfolg der Systemtheorie beruht auf genau diesem Prozess: die hochabstrakten Konzepte der kommunikativen Integration und funktionalen Differenzierung bieten in ihrer Unbestimmtheit den idealen ideologischen Boden für Konstruktionsversuche einer guten Gesellschaft, die es in Wirklichkeit so - so mittig und so inklusiv exklusiv - nicht mehr geben kann. Oder ist etwa das die Mitte: Clinton und Schröder beim Italiener am Prenzlauer Berg? Mit dem Kopf in den Wanderdünen der Kontingenz erscheint die Wüste als Welt.

Der Zerfall der Mittelschichten zerreisst auch die Soziologie: hie Staatsprofessoren, dort, in der Sprache Schumpeters, offene oder verdeckte Trust-Professoren. Heinz Hartmann war mein erster Chef, noch einen hatte ich: Helmut Schelsky, dann nie mehr einen, denn ich wurde beamteter Professor. Vor drei Jahrzehnten hat dieser Status die Herren der freien Marktwirtschaft noch gewurmt. Doch längst nicht mehr. Denn leider haben wir aus diesem Status so wenig gemacht, dass heute Stiftungsprofessoren - und die haben Chefs - uns den Rang ablaufen. Aber das ist ein weites Feld.

Zum nächsten Schritt in unserem Programm.

Hartmanns berühmte Anthologie, an der ich damals, 1962, kurze Zeit mitarbeiten durfte, hiess 'Moderne amerikanische Soziologie'. Der Name von C. Wright Mills durchzog wie ein roter Faden Hartmanns Einführung. Doch ein Text von Mills fand sich nicht in der Sammlung. Um so schöner ist es deshalb, dass wir Mills heute nachmittag gemeinsam zum Anlass nehmen, um so phantasievoll und urteilskräftig wie möglich über den härtesten Gegenstand der Soziologie zu diskutieren: über die Schatten der herrschenden Schicht.

Heinz Hartmann, it's your turn. And you'll introduce our guest, Todd Gitlin.


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