«Je dramatischer die Ereignisse sind, desto wichtiger ist die Form»
Ein Gespräch mit dem Künstler Gerhard Richter über seine Arbeit «WAR CUT»
Unter dem Titel «WAR CUT» hat Gerhard Richter ein Künstlerbuch veröffentlicht. Es ist der seltene Fall eines Kommentars eines zeitgenössischen Künstlers zum Irak-Krieg - in künstlerischer Form. Das Buch ist eine Collage aus Fotos und Zeitungsartikeln. Die darin versuchte Verbindung ist ebenso logisch wie widerspruchsvoll. Seit Jahren tauchen immer wieder Spiegelbilder im Werk von Richter auf - Jan Thorn-Prikker unterhielt sich mit dem Künstler über diese neue Variante eines solchen Bilds.
Jan Thorn-Prikker: Ihr Künstlerbuch «WAR CUT» verbindet 216 fotografierte Details eines abstrakten Gemäldes aus Ihrer Hand mit ebenso vielen Zeitungsartikeln. Können Sie etwas zu dem Ausgangsbild sagen, dem abstrakten Bild (Werkverzeichnis 648-2) aus dem Jahr 1987?
Gerhard Richter: Das Bild ist sehr alt, hat also nichts mit dem Irak-Krieg zu tun. Damals habe ich mich etwas gewundert, dass das Museum in Paris dieses Bild gekauft hat. Es gab attraktivere in der Ausstellung, die nicht so kratzig und spröde waren. Aber ich freute mich, dass es überhaupt gekauft wurde. Ich habe dann im Museum die Details aufgenommen, ohne zu wissen, wofür ich die jemals gebrauchen würde. Die lagen hier fast zwei Jahre. Dann kamen dieser Krieg und die ganzen Meinungen, die Bilder und Berichte. Das fand ich ungeheuer kompliziert - all die widersprüchlichen Meinungen und Beurteilungen, für und gegen den Krieg, für oder gegen Bush oder Saddam. Demgegenüber fand ich die Zeitungsberichte richtig wohltuend, zwar auch hilflos und vergeblich wie alles im Angesicht von Katastrophen, aber indem sie die Fakten so beschrieben, empfand ich sie als tröstlich, sie brachten so was Normales in das Geschehen.
Wussten Sie, was Sie suchten?
Nein, d. h., ich wollte es erkunden, weil ich nicht so ganz verstehen konnte, was das Bild sagt. Es gibt Bilder, die eindeutiger sind, in ihrer Stimmung verständlicher, also entweder sehr aufgeregt oder still oder nahezu märchenhaft erzählerisch, dass sie fast gegenständlich oder surreal anmuten. Das hatte das nicht, es war eher nichtssagend, ich meine das gar nicht negativ.
Warum verzichten Sie gerade im Fall des Irak- Kriegs, wo der Krieg doch so sehr «Fernsehkrieg» war, auf die Arbeit mit Bildzitaten?
Sicher weil es das gab, diese Bildberichterstattung, und viel besser, als ich es je könnte. Das war also gar nicht mein Interesse. Natürlich habe ich auch solche Fotos gesammelt, aber nicht, um damit etwas zu machen. Hier ging es um diese seltsamen abstrakten Bilder in Verbindung mit den Texten.
MARKANTE DATEN
Sie stellen die 216 Fotodetails Ihres Gemäldes neben ebenso viele, vollständig zitierte Artikel, die alle der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» vom 21. und 22. März 2003 entnommen wurden. Wieso haben Sie gerade diese zwei Ausgaben der Zeitung gewählt?
Der Ausbruch des Kriegs war das markante Datum, das man sich merkt. So wie den 1. September 1939, der Hitlerkrieg. Allerdings scheint mir, dass sich der 21./22. März nicht so eingeprägt hat wie andere Daten, wie der 11. September zu Beispiel.
Wie haben Sie die Texte angeordnet? Systematisch chronologisch?
Nein, nur annähernd chronologisch. Es gab ja dieses strenge Raster, jede Seite mit festgelegten Anordnungen und Mengen. Aber das liess noch genügend Freiraum für Bevorzugungen und für bestimmte Konfrontationen mit Bildern und für die Erhaltung einer gewissen Breite der Themen. Also einigermassen ausgewogen. Die meisten Texte habe ich ja erst gelesen, als ich sie im Buch sah bzw. im Layout. Und so befreit von Überschriften und sonstigem Beiwerk konnte ich sie wie Literatur lesen: Das habe ich als sehr angenehm empfunden.
Man vergisst, dass hier viele Stimmen sprechen. Es sieht so aus, als spräche hier nur eine Stimme. Die Stimme der Zeit. Haben Sie das wirklich auch alles gelesen?
Ja, schon. Aber das ist so ähnlich wie bei den «48 Porträts». Da weiss ich heute auch nicht mehr, wer da alles dargestellt ist. Aber wenn ich dann einen Text ungelesen neben ein Bild placiert hatte, musste ich ihn auch lesen, um zu sehen, ob das funktioniert. Und das war dann das eigentliche Geschenk für mich: dass der Zufall wunderbare Kombinationen zustande bringen konnte.
Können Sie etwas zur Form Ihrer Arbeit «WAR CUT» sagen?
Das mit der Form meine ich sehr simpel. Wir müssen ja immer, egal auf was wir treffen, dem eine Form geben, damit wir überhaupt damit umgehen können. Denn das, was wirklich ist, ist ja so uferlos und ungestaltet, dass wir es zusammenfassen müssen. Und je dramatischer die Ereignisse sind, desto wichtiger ist die Form. Deswegen gehen die Leute zur Hochzeit in die Kirche, und zur Beerdigung brauchen wir einen Pfarrer.
Was ist im Fall von «WAR CUT» die Form? Die Tatsache, dass etwas zwischen zwei Buchdeckel gebracht wurde?
Die Buchdeckel und dann die Weise, wie dazwischen mit dem Inhalt umgegangen ist. All das Material ist auf 216 Blöcke reduziert, d. h., 216 Textflächen sind 216 Bilder zugeordnet. So, dass sich Texte und Bilder gegenseitig beeinflussen, ihren Sinn ändern, wobei sich die Bilder, weil sie ja viel offener und vieldeutiger als konkrete Texte sind, ungleich stärker verändern als Texte. Das ist wie bei abstrakten Bildern, wenn da ein Titel darunter steht, weiss man sofort, was gemeint ist.
Ein Element der Form von «WAR CUT» ist doch das fast «blinde» Nebeneinandersetzen von Bildern und Texten.
Ja, das ist hier ein Teil der Form, eine Methode, die erst einmal ganz formalistisch begrenzt ist, und damit zu einer Formulierung zwingt, so dass etwas Verstehbares, Ablesbares entstehen kann.
Im Grunde genommen haben Sie ein grosses Vertrauen in die Form bzw. in die Zufälle, die die Form mit sich bringt.
Die Form ist doch das Einzige, was wir leisten können, um den grundsätzlich chaotischen Fakten und Attacken begegnen zu können. Etwas formulieren, das ist doch der grosse Anfang. Ich vertraue der Form, meinem Gefühl oder meiner Fähigkeit, dass ich schon die richtige Form dafür finden werde. Und wenn es nur ordentlich ist. Selbst das ist eine Form. Und was den Zufall betrifft, also seine Verwendung, die ja immer auch im Gegensatz zur freien Setzung und Erfindung gesehen wird, da ist John Cage für mich ein vorbildliches Beispiel. Seine aleatorischen Kompositionen sind ja nie die 1:1-Übernahme eines zufälligen akustischen Geschehens, sondern er hat erst einmal ein raffiniertes System entwickelt, um aus der blöden Fülle die Strukturen herauszufiltern. Und dann gibt er mit noch mehr Raffinement diesen Tonfolgen eine Form. Das ist doch dann nur noch Gestaltung, also Form - und das absolute Gegenteil von Zufall, von Natur, von Unrat.
BEDEUTENDE INHALTE
Wenn man sagt, das Wichtigste ist die Form, könnte man das leicht formalistisch missverstehen, als würden Sie dem Krieg gleichgültig gegenüberstehen.
Nein, nein. Dieser Inhalt ist ja das Gegebene, das, was ist; und hier in dem Fall ist das Faktische eben so übermächtig, dass wir viel mehr Formulierungsversuche als woanders unternehmen müssen. Weil hier der Inhalt so bedeutend ist, ist auch die Form umso bedeutender. Wir haben sie einfach nötiger, um damit umgehen zu können.
Haben Sie ganz bestimmte Texte neben Ihre Fotos gestellt?
Das eher selten und nachträglich. Die Methode war ja, dass eine Reihe von Texten einer Reihe von Bildern zugeordnet wurde, ohne nachdenken zu müssen, ob etwas besser links oder rechts oder oben oder unten placiert sein muss. Oder ob ein bestimmtes Bild zu einem bestimmten Text passt oder nicht. Und das Resultat ist dann, dass das meiste passte, dass also nur ein paar ungünstige oder alberne Zusammenstellungen geändert werden mussten.
ARBEIT MIT DEM ZUFALL
Diese Methode half also, die Unmengen an Material in den Griff zu kriegen. Aber die Bilderabläufe sehen nicht so aus, als hätten Sie sie dem Zufall überlassen?
Nein, das stimmt, die Bilder sind immer nach - wie nenne ich das: ästhetischen Kriterien? - geordnet. Ich habe die Bilder so placiert, dass ein Zusammenhang entsteht, nach Farben, Strukturen und sonstigen Merkmalen. Das Ganze fängt etwas indifferent an: Es war wie die Herstellung einer Erzählung oder eines Filmes, der irgendwie anfängt, der ruhige und wilde, böse oder phantastische Passagen hat und dann wieder ausklingt, im Weiss wieder endet. Ein Traum.
Der Zufall muss bei dem Buch eine viel grössere Rolle gespielt habe, als ich es mir gedacht habe.
Na ja, die Arbeit mit dem Zufall war mir ja schon immer ziemlich wichtig. Deshalb erwähnte ich vorhin ja auch John Cage. Und tatsächlich ist mir der Zufall weit mehr als ein Werkzeug und eine Methode, um etwas aufzubrechen, zu verändern . . . Indem ich den Zufall als das Geschehen akzeptiere, das weit über mein Vorstellungsvermögen, über alles Verständnis überhaupt hinausgeht, nehme ich doch die Rolle dessen an, der nur darauf reagieren kann, der aber bei aller Ohnmacht etwas daraus machen kann, so weit gehend, dass es dann gar kein Zufall mehr ist. Und danach hat man einen neuen Zufall.
Wenn ein Text neben ein Bild tritt, dann verlieren beide ihre Unabhängigkeit. Es stellen sich sofort Bezüge her.
Manche Bilder passen ja erschreckend gut zu der Grausamkeit, dem Wahnsinn, den die Texte beschreiben. Und andere können sogar wie Illustrationen wirken, wenn der Text von Wüsten und Landschaften spricht.
Da sind Luftaufnahmen. Brennende Ölfelder. Lachen, Blut - all das steckt in diesen Bildern. Sie haben es nicht gemalt, aber es steckt drin. Manchmal steigen Geister aus den Bildern, Totenköpfe, Fratzen.
Das ist mir sehr recht.
Ihr Buch ist widersprüchlich. Als Arbeit eines Künstlers sagt es: So ist es, so sieht die Welt aus. Gleichzeitig aber sagt das gleiche Buch: So geht es nicht, so kann es nicht weitergehen. Das Buch erhebt seinen Einspruch gegen die Welt, wie sie ist, und bestätigt sie.
Ja, deshalb wollte ich eben auch versuchen, diesen Krieg von einer ganz anderen Seite her zu sehen. Mahnungen, Proteste usw. liegen mir nicht. Für mich ist es beides. Auch dieser trotzige Versuch.
Inwieweit ist «WAR CUT» ein Versuch, einen Krieg zu «bewältigen»? Ich habe ein paar Personen getroffen, die haben auf «WAR CUT» geradezu verärgert reagiert. «Der nimmt da alles, haut das einfach zusammen, das ist hochartifiziell, aber eigentlich ist das nur die Simulation von Anteilnahme» - so ähnlich haben die Vorwürfe geklungen. Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie auch eine Collage mit irgendetwas anderem hätten machen können. Die sehen hier eine «Ästhetik des schlechten Gewissens» am Werk. Ein Getue. Viele Ihrer Kritiker werfen Ihnen vor, dass Ihnen alles gelingt.
Das ist natürlich nicht so. Sonst hätte ich ja eine Collage mit dem anderen Material gemacht. Ich mache ja auch andere Sachen. Ausserdem geht das gar nicht, wie soll man in dieser Welt sein, ohne davon betroffen zu sein. Selbst wenn man Blumen malt und Pfefferkuchen backt.
Hat Ihr Buch etwas mit Trauer zu tun?
Ja, und mit Wut. Zunächst mehr mit Wut, weil er stört, der Krieg, weil er uns unsere Ohnmacht zeigt, weil wir ihn offensichtlich nicht verhindern können, weil wir ihn nicht annähernd treffend beurteilen können. Deshalb habe ich es auch unbedingt vermieden, eine Meinung zu sagen, die ist hier ganz unnütz und gleichzeitig auch hinderlich bei dem Versuch, der Wahrheit etwas näher zu kommen.
Ausserdem ist meine Meinung mit Sicherheit genauso falsch wie die meiner Freunde, die ja fast alle etwas arg vereinfachend und nahe am Kitsch den Krieg verurteilen und auf Bush schimpften. Sie merken, das ist nicht mein Thema. Ich halte den Krieg überhaupt nicht für unnötig. Sonst wäre er nämlich gar nicht da. Und wir sind noch lange nicht so weit, dass wir auf Kriege verzichten können. Aber wie gesagt, ich hatte nicht so viel Anlass zur Trauer. Da ist mir der 11. September mehr zu Herzen gegangen. Da war ich betroffen. Der 11. September war in dieser Hinsicht das stärkere Entsetzen.
ETWAS SCHÖNES MACHEN
Ich frage das auch, weil Sie zu einer Generation gehören, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt hat. Bringt das eine besondere Wahrnehmung des Themas Krieg bei Ihnen als Person hervor?
Ich denke Ja, das sind Erfahrungen, die wie ein Grundthema vorhanden sind. Aber hier, diese Collage, «WAR CUT», hat wenig mit Trauer zu tun. Ich kann's aber nicht beschreiben.
Sie insistieren auf der Erinnerung. Sie halten eine Wunde offen. Das ist unzweifelhaft, ob Sie es wollen oder nicht, eine Form der Anteilnahme.
Doch, das ist es. Aber die schönste Lust war die, das fertige Buch am Ende zu bemalen. Die Arbeit war abgeschlossen. Da hat es Spass gemacht, so etwas Schönes zu machen. Ich habe überhaupt wieder zum Malen zurückgefunden. Das war ja der Anfang nach einer langen Pause. Ich hatte ja zwei Jahre nicht mehr gemalt. Das war wieder der Anfang. Das war gut, so etwas herzustellen. So etwas Märchenhaftes, Phantastisches. Das ganze Gegenteil von Krieg.
Gerhard Richter: WAR CUT. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2004. Euro 58.-. Vom 10. Juni bis 5. September zeigt das Kunstmuseum Bonn eine Ausstellung mit sämtlichen Druckgrafiken, Foto-Editionen und Künstlerbüchern von Gerhard Richter. Katalog (Hatje-Cantz-Verlag) Fr. 83.-.
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