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J ach Jott ach Jott schrieb am 28.3. 2010 um 04:47:14 Uhr über

Grottenmops


Von der Leichtigkeit des Links und dem Kampf um seine Freiheit


Dieses Email-Interview erschien am 30. Oktober 2000 in der Netzzeitschrift Dichtung Digital.

Als Alvar C.H. Freude und ich diese Fragen beantworteten, war der Zugriff auf die Daten innerhalb von Dichtung Digital noch möglich, inzwischen muss dafür bezahlt werden. Weiterhin wurde das Interview in Peter Weibels Buch »Im Buchstabenfeld« veröffentlicht. All dies geschah ohne unsere Kenntnis und ohne unser Einverständnis.
Daher erlaube ich mir nun, diesen zu 99% von Alvar und mir verfassten und korrekturgelesenen Text hier wiederzugeben. Das Original befindet sich an der Adresse http://www.dichtung-digital.de/Interviews/Espenschied-Freude-30-Okt-00/.

Das hier erwähnte Projekt //on.line-Demonstration\\ hat sich inzwischen zu ODEM.org weiterentwickelt, die Idee mit den an allen Netzknoten manipulierbaren Daten haben wir inziwschen mit insert_coin verwirklicht.

Alvar C. H. Freudes und Dragan Espenschieds Assoziations-Blaster (vgl. Besprechung) wurde beim Ettlinger Wettbewerb für Netzliteratur 1999 ausgezeichnet und kann auf eine wachsende Fangemeinde inzwischen auch im englischsprachigen Raum verweisen. Es handelt sich um eine ganz besondere Variante der Mitschreibprojekte: Hier wirken Leser-Autoren an einem riesigen Textgeflecht, dessen Zusammenhang aber größtenteils von einer Maschine erstellt wird. Daraus entsteht ein Netzwerk, von dem, wie es heisst, »viele dachten das WWW wäre es bereits«. Roberto Simanowski sprach mit den beiden Projektinitiatoren über den Funktionsweise und tieferen Sinn des AB, über das »6wortAssoziationskunstwerk«, über Online- Demonstrationen zur Rettung der Links.

dd: Der Assoziations-Blaster, so liest man auf der ersten Seite eures Projekts, »ist ein interaktives Text-Netzwerk in dem sich alle eingetragenen Texte mit nicht-linearer Echtzeit-Verknüpfungautomatisch miteinander verbindenWas heisst das?

DRAGAN: Unsere Echtzeit-Verknüpfung sorgt dafür, dass zwischen Texten, die von verschiedenen Leuten eingegeben werden können, automatisch Verbindungen im Sinne von Hyperlinks entstehen. So entsteht aus vielen einzelnen Texten das Textnetzwerk. Dieser Mechanismus ist das Kernstück des Assoziations-Blasters. Während sich ein Hypertext-Autor im herkömmlichen Web selbst um das setzen von Links kümmern muss, ist der Link in unserem System immer vorhanden.

Nichtlinear bedeutet, dass der im Blaster erzeugte Hypertext keinen Anfang und kein Ende hat, es gibt auch keine festgelegte Lesereihenfolge. Man kann nicht an einem Punkt beginnen und sich dann Schritt für Schritt alle Inhalte anschauen oder abarbeiten, stattdessen hangelt man sich von einem Text zum nächsten, und jeder dieser Texte ist genau so Ausgangspunkt oder Ergebnis wie der vorherige.

Während des Lesens kann ein gleichzeitig von einer anderen Person neu eingegebener Text das ganze Netzwerk verändern. Alle Verbindungen entstehen sofort, deswegen »Echtzeit«.

ALVAR: Die Wortwahl ist natürlich auch eine Anspielung auf die üblichen Bezeichnungen für Computerprogramme, Websites usw: je mehr Superlative, desto besser.

Als wir mit dem Projekt angefangen haben, war das Wort »Interaktiv« oft zu hören, bedeutete aber meistens nur, dass der Anwender irgendwo ein bißchen »klicken« konnte. Demhingegen bietet der Assoziations-Blaster echte Interaktivität: die Anwender füllen ihn mit Inhalt und bestimmen entscheidend, in welche Richtung er sich entwickelt. Wir wollten zeigen, dass man mit Text im Internet interessantere und vor allem vielfältigere Sachen machen kann als mit Grafik und Film: eine »verregnete Straße« zu beschreiben geht in wenigen Sekunden, sie aber grafisch darzustellen ist viel aufwendiger und wird von anderen Medien viel besser wiedergegeben. Der Blaster ist aus der Auseinandersetzung mit dem Internet als Medium hervorgegangen; wir dachten daran, wie viel Potential in ihm steckt, wie viel darüber gesprochen und wie wenig letztendlich umgesetzt wird. Wir wollten dem Internet als Textmedium auf den Grund gehen, es nach seiner ursprünglichen Bestimmung verwenden und nicht nur als Übertragungskanal für einen Abklatsch von Fernsehen und Radio.

dd: Der Meister des Links ist hier nicht mehr der Autor, sondern ein Connectionmaker im Hintergrund, der selbst keine anderen Assoziationen hat als die, auf die er programmiert wurde. Wie geht dieser Connectionmaker vor sich? Woher nimmt er seine Anweisungen?

DRAGAN: Der Assoziations-Blaster baut seine Verbindungen anhand von Stichwörtern auf. Ein Stichwort kann jedes Wort sein, von »Keuchhusten« über »Schlammsportplatz« bis zu »asdfg«. Zu jedem Stichwort existiert mindestens ein Text, der sich mit diesem Wort auseinandersetzt. Ein Stichwort ist quasi die Überschrift eines Textes.

Beim Anzeigen eines Textes werden nun alle enthaltenen Wörter mit dem Stichwort-Archiv verglichen. Beispielsweise kommen in dem Satz »In meiner Kindheit verbrachte ich viel Zeit auf dem Schlammsportplatzdie Stichwörter »Kindheit« und »Schlammsportplatz« vor. Somit verwandeln sie sich in Links auf die Text-Sammlung, die unter den entsprechenden Stichwörtern abgelegt wurde. Beschließt nun der Leser, einem dieser Links zu folgen, wird aus dieser Text-Sammlung ein zufälliger ausgesucht.

Auch in diesem Text werden wieder alle Wörter mit dem Stichwort-Archiv verglichen und entsprechend verlinkt. Wenn jemand das Stichwort »Zeit« neu in den Blaster einführt, würde der Beispielsatz sofort einen dritten Link enthalten.

ALVAR: Die bisherige Implementierung des Assoziations-Blasters verlinkt einfach jedes Wort, sofern es ein Stichwort ist. Da das System frei und offen für jeden ist, man also ohne jegliche Anmeldung sofort teilnehmen kann, sind die Beiträge sehr unterschiedlich, was sich natürlich auch auf die Verlinkungen auswirkt: es können sinnvolle und weniger sinnvolle Verbindungen entstehen. Mit dem gleichen Mechanismus ließen sich aber auch Texte zu speziellen Themen für einen eingeschränkten Nutzerkreis miteinander verbinden, beispielsweise im wissenschaftlichen Bereich.

dd: Wer kümmert sich um die Qualität der Inhalte?

ALVAR: Da es wie gesagt jedem Internet-Nutzer ohne sonderlich große Hürden möglich ist, seine geistigen Ergüsse abzuladen, sind durchaus auch »schlechte« oder »nicht so gute« Beiträge dabei. Ich schreibe das in Anführungsstrichen, weil die Definition natürlich für jeden anders ist! So haben immer mal wieder verschiedene Leute mit Texten experimentiert, die auf den ersten Blick vollkommen unpassend waren oder das System in meinen Augen störten. So hat zum Beispiel ein Literatur-Professor aus BambergStöbers Greif« nennt er sich meistens) seine ersten Internet-Erfahrungen im Blaster gesammelt und wie ich in der Zwischenzeit finde sehr viele interessante Texte geschrieben. Am Anfang sah ich das anders und fand es teilweise ziemlich doof.

Daneben gibt es auch Leute, die auf den Blaster stoßen weil sie in Suchmaschinen eventuell nach unanständigen Sachen gesucht haben und vielleicht nur eine Hand frei habenzumeist kommen dann Texte wie »asdfg hjkl qwert«, »Geil« oder »finde ich auch« heraus. Diese Texte existieren alle weiterhin, wir löschen nichts. Die Nutzer können aber sog. Bewertungspunkte, die sie u.a. für selbst geschriebene Beiträge erhalten, auf die anderen Beiträge verteilen.

Mit Hilfe dieses Bewertungssystems kann jeder Nutzer einzelne Beiträge positiv oder negativ bewerten. Er kann also sagen: »gefällt mir« oder »gefällt mir nicht«. Diese Bewertung wird bei jedem Beitrag angezeigt.

dd: In der Selbstbeschreibung heisst es zum Prinzip der assoziativen Verknüpfung: »Dadurch entsteht eine endlose Kette von Assoziationen, die dem Zusammenhalt der Dinge schlechthin auf die Spur zu kommen vermag.« Ist der Assoziations-Blaster also ein deutsches Werk, verpflichtet der Suche nach Wahrheit?

DRAGAN: Ich sehe ihn durchaus als ein Werkzeug an, das versteckte Wahrheiten ans Tageslicht befördern kann. Das Archiv wird letztendlich von vielen Leuten erweitert, die ihre Sichtweisen oder Erfahrungen hinterlassen, so gewinnt man einen Einblick in viele Köpfe gleichzeitig.

Das Bewertungssystem simuliert den kulturellen Prozess der sprachlichen Verdichtung. Ich gehe davon aus, dass ganz besonders in der Sprache über längere Zeiträume nur Worte bestehen bleiben, die eine gewisse Relevanz besitzen. Genau so ist es auch mit Erinnerungen, Ideen, Zukunftsvisionen etc. Ich stelle mir vor, dass wenn ich mich in fünf Jahren mit einem Filterwert von 128 durch den Assoziations-Blaster lese, ich auf Texte und Verknüpfungen stoße, die sich über den langen Zeitraum als wie auch immer relevant erwiesen haben. Dieses Netzwerk zeigt dann vielleicht, ach was, ganz sicher zeigt es dann ein gewisses Grundmuster im (sprachlichen) Denken an.

Ich bin auf das Ergebnis sehr gespannt! Und ich bin besonders von der Wichtigkeit des »in die Struktur hinein vergessens« (Hartmut Winkler) überzeugt. Computer dürfen nicht einfach alle Daten aufbewahren und auch nicht einfach alle löschen. Es sollte immer ein Fundament aus unsichtbaren, angelöschten [1] Daten bestehen, das auch zugänglich bleibt. Es trägt quasi die Spitze des Eisberges. Mit unserem konfigurierbaren Filtersystem haben wir das glaube ich ganz gut hinbekommen.

Am liebsten verdeutliche ich diesen Prozess am Beispiel der »schönen Prinzessin«. Als Prinzessinnen ganz neu erfunden waren, musste man immer noch dazu sagen, dass sie auch schön sind, denn es wusste ja noch keiner, was eine Prinzessin so wirklich ist und tut. Heute weiß jeder, dass eine Prinzessin immer auch gleich schön ist, man muss es also garnicht mehr dazusagen. Schöne Prinzessinen sind der Standard und das Wort »schön« ist verschwunden. Es ist ein Allgemeinplatz, eine Banalität, aber dennoch wichtige Information. Sprache wird durch diese immer zusammengehörenden Wörter zum Informationsspeicher. Knorrige Eiche, tapferer Soldat, kühles Nass, dampfende Suppe, gewaltiger Berg und immer so fortEiche, Soldat, Nass, Suppe, Berg alleine reichen auf die Dauer aber auch.

dd: Dragan, du sagtest in einer Präsentation des Projekts im September in Berlin: »Mich interessiert nur Text, keine Bilder, kein FlashDas bezog sich auf die Erstellung der Assoziationen bzw. Links. Schaut man sich an, was der AB mit Texten macht, so hat man den Eindruck, dass diese nur mehr Anlass des Spiels und der augenzwinkernden Verweisung sind, nicht aber Gegenstand der Kontemplation. Was genau interessiert dich an Texten? Schreibst du selbst? Welche eigenen Lesevorlieben liegen der Erstellung des AB zugrunde?

DRAGAN: Zwischen Ironie und Kontemplation konnte ich noch nie so gut unterscheiden. In traditionellem Sinne geht der Assoziations-Blaster in der Tat recht respektlos mit den Texten um. Das führt oft zu sehr albernen Links oder bizarren Wortschöpfungen, auch die massive Präsenz der Texte in Suchmaschinen stellt sie in immer neue Kontexte. Einerseits ist das natürlich komisch, aber auch ernst zu nehmen. In mein Bild von Ernsthaftigkeit passt das zumindest sehr gut hinein. Ein wenig schreibe ich auch, nämlich Liedtexte für meine Heimcomputer-Band Bodenstandig 2000 und manchmal denke ich mir auch eine Bildergeschichte aus.

Es ist nicht so, dass ich alles außer Text verteufeln würde, ich bin nur der Ansicht, dass Text das optimale Medium für den Computer ist. Seine Stärke ist das bearbeiten von Zeichen, er ist eine Symbolmaschine. Zwar versteht er deren Bedeutung nicht, aber das muss er auch nicht, denn dafür gibt es ja noch Menschen. Aber der Computer kann auf formaler Ebene sehr flexibel mit Symbolen umgehen. Mit Bildern kann er aber garnichts anfangen. Ich kann ein Programm schreiben, das in einem Text jedesmal das Wort »Kohl« gegen »Schröder« austauscht. Das lasse ich über alle politischen Artikel einer Tageszeitung laufen und schon hat sich etwas verändert. Ich kann aber kein Programm schreiben, das auf Fotos (von mir aus auch nur die im politischen Teil einer Tageszeitung) die beiden Herren austauscht. Es wird zwar immer wieder behauptet, in zehn Jahren könnten das Computer auch, aber erstens gab es diese Behauptung schon vor zwanzig Jahren und zweitens besteht ein Unterschied zwischen dem einfachen Erkennen eines Musters (was für Text vollkommen ausreicht) und dem wirklichen Wissen, dass auf dem Foto nun Kohl oder Schröder, mit oder ohne Bart, in Badehose oder mit einer Hand vor dem Gesicht oder gar von hinten zu sehen sind.

Wer seine Internet-Projekte vollkommen auf Bildern oder Flash (Bilder von Buchstaben) aufbaut, wo das nicht notwendig ist, sabotiert den Datenfluss im Netz. Texte lassen sich indexieren, zusammenfassen, dataminen [2], zitieren, kopieren und verändern, und zwar von jedem Knoten des Netzes. Zur Not auch auf einem Palm-Pilot. Leider verstehen die meisten Leute das Netz nicht als Einheit sondern als ein Land, auf dem Grundstücke abgesteckt werden.

dd: Sprechen wir von den Leuten, die im Assoziationsblaster Grundstücke kaufen. Es gibt Leute, wie Tanna, die bereits 2000-3000 Texte plaziert und es so in der AB-Gemeinde zu einigem Ruhm gebracht haben. Gibt es eine AB- Sucht? Welche Dynamik besteht in der AB-Gemeinde?

DRAGAN: Tanna hat nicht nur eine Unmenge Texte geschrieben sondern auch den Blaster-Blätterer™ programmiert, der es erlaubt, der Reihe nach alle Beiträge eines Stichwortes zu lesen.

Viele Benutzer des Assoziations-Blasters wollen sich etwas ganz besonderes einfallen lassen und erfinden Stichworte wie »KarnevalIstScheiße« oder »ich-will- eine-email-von-tanna«. Zuerst hielten wir das für nicht schlau, denn der Blast- Faktor einer solchen Wortschöpfung ist sehr gering. Immerhin ist es sehr sehr unwahrscheinlich, dass diese Wörter in einem anderen Text vorkommen und dadurch Links entstehen. Meistens verwendet nur der Erfinder eines solchen Konstrukts dieses Konstrukt. Wir hatten ein paar Mechanismen eingebaut, um das Erstellen solcher Stichwörter zu verhindern, beispielsweise konnte man früher noch Unterstriche in Stichwörtern verwendenwahnsinnige_Roboter«), das haben wir abgestellt. Aber die Leute haben sich immer wieder etwas einfallen lassen. Der Bindestrich hat sich als Wort-Trenner nun durchgesetzt.

Tatsächlich kommen diese Wörter nicht sonderlich häufig in anderen Texten vor, aber da sich einige Schreiber im Blaster schon ganz gut kennenschließlich können sie sich gegenseitig ins Gehirn schauenwerden auch obskure Worte, die sich andere Leute ausgedacht haben, verwendet. Zum Beispiel erfand einmal jemand das Stichwort »Gummibärchenbettwäsche«, dazu schrieb ich einen Text, in dem das Wort »Mettwurst-Bettwäsche« vorkommt. Schon wenig später gab es das Stichwort »Mettwurst-Bettwäsche«. Da hab ich mich natürlich sehr gefreut.

Ein anderes Beispiel ist das 6wortAssoziationskunstwerk (abgekürzt »6W- AKW«). Wir hatten eine Zeit lang bei der Anzeige eines Textes noch 5 Links auf zufällige Stichwörter eingefügt. Das war vor allem nützlich, als der Assoziations-Blaster noch nicht so viele Stichworte enthielt, die sicherstellen, dass man von einem Text immer zu einem anderen kommt. Einige Leute machten sich nun einen Spaß daraus, all diese Stichworte und das aktuelle Stichwort in einem Satz zu verwenden. Zur Erklärung erzeugten sie noch einen Link zum Stichwort 6wortAssoziationskunstwerk.

Außerdem gibt es noch die Möglichkeit, Blaster-Texte in den linearen Diskussions-Blaster zu kopieren, was ein ganz normales Forum ist. Dort können die Blaster-Benutzer sich über die Texte und Stichwörter unterhalten, teilweise entstehen dort auch neue Stichwörter oder Texte.

ALVAR: Es passiert öfter mal, daß manche (meist neuen) Blaster-User so begeistert sind, daß sie ganze Nächte durchmachen und einfach nicht davon loskommen. Es kam auch schon vor, daß Assoziations-Blaster-User Probleme mit ihren Arbeitgebern bekamen, weil sie zu viel herumblasterten anstatt zu arbeiten.

Wahrscheinlich liegt das auch daran, daß es für die meisten eine völlig neue Art ist, mit dem Internet umzugehen. Insbesondere die heutigen Neu-User lernen das Netz zuerst als Konsummaschine kennen, überall steht groß »Klicken Sie Hier«, »Shopping« und so weiter. Und wenn sie da über eine Suchmaschine auf den Blaster stoßen, sind sie in gewisser Hinsicht in einer neuen Welt: kein Werbebanner, kein »Klick Mich«, sie können selbst zum System beitragen oder Anregungen herausholen, in den Gedanken anderer Menschen stöbern, was auf andere Art und Weise so nicht möglich wäre.

Ich glaube, nur Netz-Anwendungen die sich von den herkömmlichen Medien abheben haben wirkliches Sucht-Potential. Internet-Fernsehen und Co. sind nicht nur wegen der schlechten Qualität und der langsamen Leitung relativ uninteressant, sondern auch weil das gleiche vom Fernsehen viel besser erledigt wird. Aber beispielsweise Online-Rollenspiele (MUDs: http:// www.mud.de/ oder http://uni.mud.de/) zeigen andere, neue und vor allem unerwartete Möglichkeiten auf (und das obwohl sie älter als das WWW sind). Oooh, wenn ich daran denke, wieviele Nächte ich in UNItopia herumgehangen bin … ;-)

Auch Chats, das Usenet, natürlich der Blaster und so weiter fallen in diese Kategorie, alles was in den anderen Medien nicht möglich ist, vor allem alles was sich um Kommunikation dreht.

dd: Der AB greift auch über sich selbst hinaus. Man kann die Adresse einer beliebigen Site angeben, die dann in den AB einverleibt und in ihm verlinkt wird. Die fremde Website wird somit in doppelter Weise und ohne ihr Wissen »zwangsassoziiert«. Das erinnert an Medienprojekte wie den Shredder, der eine eingegebene Site zerhackstückt, oder an den Discoder, der das Innerste einer Site nach außen stülpt. Sieht sich der AB hier in irgendeiner Tradition? Hat er eine medienkritische Message?

ALVAR: Nun, zuerst ist es ja nicht so, daß der Web-Blaster eine fremde Website ohne ihr Wissen verfremdet: Ein Website bzw. vielmehr ihr Gestalter kann nie wissen, wie sie dargestellt wird. Die Darstellung übernimmt der Webbrowser, aber nur weil die zwei am weitesten verbreiteten Programme HTML auf eine bestimmte Art und Weise darstellen, heißt dies noch lange nicht, daß dies zwangshaft so sein mußwie ja auch der Shredder zeigt.

dd: Aber es gibt doch zumindest einen bestimmten Gestaltungswunsch der Website-Produzenten, der mit den herkömmlichen HTML-Standard für eben diese am weitesten verbreiteten Browser auch mit einiger Sicherheit erzielt werden kann, durch Browser wie den Shredder aber, die ja eigentlich Browser- Konzept-Kunst sind, unterlaufen wird.

DRAGAN: Die Idee, dass ein Browser eine Seite in einer bestimmten Weise darzustellen hat, ist meiner Ansicht nach recht altmodisch. Ein einstmals sehr interessantes Projekt namens »Third Voice« erlaubte es jedem Surfer auf den besuchten Websites Kommentare zu hinterlassen, die andere Benutzer des PlugIns dann auch sehen konnten. So war es möglich, sich kritisch über beispielsweise ein Produkt zu äußern, das auf dieser Site mit danebenstehendem Shop-Button angepriesen wurde. Und genau das machte Third Voice eine Spur zu brisant. Die heute aktuelle Version wurde stark entschärft, man kann nun nicht mehr in den angezeigten Seiten herumpfuschen. Die Kommentare erscheinen nebendran in einem separaten Mini-Fenster und sind zwischen Werbebannern versteckt.

In den meisten Köpfen gibt es ein wirkliches Netzwerk garnicht. Da gibt es nur Werke, die ein Autor dem Genie-Kult folgend im Keller ausbrütet, deren Aussehen und Inhalt unter der vollen Kontrolle dieses Autors liegt. Man darf das nun anschauen und toll oder doof finden, aber wie im Museum ist anfassen verboten.

Im Netz können Daten beliebig viele Zwischenstationen durchlaufen, bis sie irgendwo ankommen. An jedem dieser Punkte können und könnten eine beliebige Menge interessante Dinge passieren. Um das Potential des Netzes voll auszureizen, müssen dem Surfer von nebenan Möglichkeiten geboten werden, sinnvoll am Netz mitzuarbeiten. Meiner Ansicht nach könnte das das nächste große Ding werden, sofern es vom E-Commcerce-Interessenverband nicht vollkommen abgewürgt wird, weil man dann auf einmal wirklich wie versprochen Preise besser vergleichen und Produkte kritisieren könnte.

ALVAR: Der Web-Blaster geht da etwas weiter oder in eine andere Richtung: Weniger die Gestaltung als vielmehr die Struktur der Website wird von ihm als eine Art Browser-Erweiterung verändert: es kommen schlicht neue Links hinzu. So ist er auch eine Art Vorläufer zu Dragans Projekt CaterCapillar, bei dem sich Websites quasi selbständig untereinander verlinken. Der Web-Blaster integriert lineare und hierarchische Texte in ein Netzwerk von nicht-linearen Texten. Er gibt dem Leser so die Möglichkeit, im Web vorhandenen Texten Informationen bzw. Verbindungen hinzuzufügen, er kann von einem politischen Bericht bei Spiegel-Online ausgehend in den Blaster gelangen, dort von Kohl aufs Mittagessen stoßen, dann auf einen zufälligen Text übers Fernsehen stoßen, schnell ist er bei Sex, das führt zu Kindern und die machen dreckige Windeln. Und das ausgehend von der CDU-Spendenaffäre … ;-)

Das mit der Tradition ist immer so eine Sache. Meiner Ansicht nach ist der Web-Blaster eigenständig, ich bin mir im Augenblick noch nicht mal sicher, ob wir damals schon den Schredder kannten. Aber letztendlich ist das eher nebensächlich. In den Bereich der Medienkritik würde ich den Web-Blaster jetzt nicht zu tief eindringen lassen; aber vielleicht liegt das auch nur daran, daß er vom Prinzip her für mich sehr selbstverständlich und nichts so wahnsinnig besonderes ist. Andererseits natürlich dochdas läßt sich nicht so einfach definieren.

dd: Von der Leichtigkeit des Links zur Gefährdung seiner Freiheit: Alvar, dein neues Projekt heisst //on.line-Demonstration\\ und stellt eine »Plattform zur Veranstaltung von Internet-Demonstrationen« dar. Gleich am Anfang begrüßt einen die Aufforderung »Retten Sie das Herz des WWWWoran krankt das WWW?

ALVAR: Vorneweg muss ich sagen, daß sich zu diesem Thema allgemein gleich mehrere Bücher schreiben ließen; ja die Thematik ist so umfangreich, daß ich behaupten möchte: Niemand hat sie in ihrer Gesamtheit erfasst. Ich natürlich auch nicht. ;-)

Daher ist das Größte Problem am Internet, nicht nur am WWW:

1. Unkenntnis
2. Unkenntnis
3. Unkenntnis

Das Netz hat sich 30 Jahre lang nahezu unbemerkt von der Außenwelt entwickelt. Leider scheinen die meisten der ins Internet quellenden Konzerne, Regierungen, Juristen und letztendlich Designer diese Entwicklung nicht verstanden zu haben. Die einen sehen das Netz als reinen Verkaufsprospekt, der von vorne bis hinten durchgeblättert werden soll (aber bitte nicht bei der Konkurrenz). Die zweiten geraten in Panik, weil auf irgend einer Webpage steht, wie man eine Bombe baut und wollen daher alles zensieren. Die dritten würden am liebsten Links auf fremde Daten verbieten. Und die vierten verpacken all das in Unmengen von unhandlichen und unübersichtlichen Animationen.

All das läuft der Natur des Netzes und seiner Kultur zuwider. Die Daten wollen weiterverwertbar sein, verknüpft sein, frei fließen. Wer möglichst viele Schnittstellen öffnet, tut dies zum Wohle aller. Das Wunschdenken der Medienkonzerne dagegen zielt auf ein »klinisch reines Internet« (mehr zum Thema Datenschutz, privater/öffentlicher Raum und nochmals privater/öffentlicher Raum).

AOL/Time Warner oder Bertelsmann wünschen sich das Internet im Wesentlichen als Distributionskanal für ihre Inhalte und da passt es ihnen gar nicht in den Kram, wenn es hier Schmuddelecken (wie überall auf der Welt) gibt (siehe auch in Telepolis: »Die große Filteroffensive«). Geplante Filtersysteme, die vordergründig für denJugendschutz" gedacht sind, erweisen sich bei genauer Betrachtung als Werkzeug zum Einschränken der Meinungsfreiheit und ermöglichen eine fundamentale Änderung der Netzarchitektur. So könnten auch Regierungen mit relativ geringer eigener Anstrengung die bereits geschaffenen Strukturen für eigene Zensurbestrebungen nutzen, das Ergebnis aber als »Freiwillige« Kontrolle der Industrie darstellen, wie es bereits in Australien geschieht.

Oft muß man sich auch fragen, ob die Konzerne nicht schon Zensur ausüben (siehe auch Telepolis: »Internet-Zensur durch Medienkonglomerate?«). Der Musikindustrie passen Dienste wie Napster nicht ins Geschäftsmodell, Informationen darüber sollen möglichst unterdrückt werden und so wurden Betreiber privater Homepages, die auf Napster verwiesen haben, unter Androhung einer Klage genötigt, den Verweis zu entfernen.

Die Meisten die Grundfesten erschütternden Probleme lassen sich wie man sieht zumeist auf den Konflikt zwischen kommerziellen und privaten/wissenschaftlichen/künstlerischen Interessen reduzieren. Sei es zum Beispiel der Domainkonflikt zwischen etoy und eToys.com oder der Wunsch von Bertelsmann nach Inhalts-Filtern. Mit der zunehmenden Kommerzialisierung des Netzes kommen neue Interessen auf, die es vor wenigen Jahren noch nicht gab und die mit großer wirtschaftlicher Macht durchgesetzt werden.

//on.line-Demonstration\\ [3] ist nun eine Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, eine legal anerkannte Form von Online-Protest zu etablieren, um auf die schlimmsten Mißständnisse aufmerksam zu machen. Oftmals gibt es keine andere Möglichkeit als im Netz zu agieren, genau dafür soll Online-Demo da sein: als offene Plattform für alle.

Für die erste Aktion habe ich mich der Link-Problematik gewidmet. Dabei geht es darum, daß ein Verweis (Link) im Internet auch als ein Verweis behandelt werden soll, also genau so wie ein Literaturhinweis in einem Buch. Dies ist aber oft nicht der Fall, was zu den absurdesten Fällen führt: Homepage- Ersteller müssen damit rechnen, eine teure Abmahnung für einen Link zu erhalten, weil sie auf die falsche Seite im Internet verweisen.

Das hört sich abstrus an, kommt aber immer wieder vor: So ist zum Beispiel der Begriff »Explorer« in Deutschland und Europa als Warenzeichen geschützt. Nicht etwa von Microsoft, sondern von der nahezu unbekannten Ratinger Firma Symicron. In den USA gibt es ein (für Privatleute frei nutzbares) Programm namens FTP-Explorer, ein nützliches Programm für Homepage-Bastler. Jetzt behauptet der Anwalt von Symicron, der einschlägig bekannte Günther Freiherr von Gravenreuth, daß durch einen Verweis auf die Homepage des FTP- Explorer-Herstellers die Markenrechte von Symicron verletzt werden würden. Wohlgemerkt: es sind Programme in zwei völlig verschiedenen Kategorien.

Da der Hersteller vom FTP-Explorer nicht greifbar ist, wird also derjenige abgemahnt, der einen Verweis auf die Homepage des an sich vollkommen legalen Programmes setzt. Kostenpunkt: rund 1900 Mark. Eine gute Einnahmequelle!

Mit //on.line-Demonstration\\ haben wir nun Ende Juni eine Internet- Demonstration durchgeführt, um beim Bundesjustizministerium gegen die bestehende Rechtslage zu demonstrieren (das BMJ signalisierte vorher bereits mehrfach, daß es keinen Handlungsbedarf sehe: der Markeninhaber müsse geschützt werden). Mittels eines kleinen Programms wurden von jedem Teilnehmer der Demonstration im Minutenabstand Zugriffe auf deren Webserver durchgeführt, mit denen Protest-Bemerkungen übermittelt wurden. Parallel läuft im Netz eine Unterschriftenaktion, dort kann jeder mit seiner »virtuellen« Unterschrift die Forderungen unterstützen.

dd: Kann man das Web durch Demonstrationen per Klick retten?

ALVAR: Demonstrieren per Klick. Hört sich einfach an. Ja, der Klick, das tolle neue Modewort, früher war es Schlumpfen, zwischenzeitlich Öffnen, jetzt Klicken: es wird als Sysonym für fast alles benutzt, was der Beschreibende nicht versteht, insbesondere bei den angeblichen Experten von Tomorrow, NBC-GIGA und Konsorten zu beobachten.

Aber zum einen ist die bisher verwendete nur eine mögliche Protestform, die wir am Anfang hauptsächlich aus Gründen der Medienwirksamkeit gewählt haben. Eine andere Möglichkeit wäre zum Beispiel, die Besucher (also Demonstranten) aufzufordern, alle Bundestagsabgeordneten anzuschreiben und auf die Problematik aufmerksam zu machen. Auf jeden Fall wird es nicht zu einer Demonstrationskultur vom Wohnzimmersessel aus kommen, das ist keineswegs unser Ziel und wäre auch vollkommen falsch. Zudem ist es für uns Organisatoren ist es keineswegs weniger Arbeit als bei herkömmlichen Demonstrationen: es muß eine Website aufgesetzt werden, es müssen Informationen gesammelt werden, es müssen Mitstreiter mobilisiert werden und so weiter.

Ob sich zumindest im Kleinen die alte Kultur des Netzes durch solche oder andere Aktionen erhalten läßt, das wird die Zukunft zeigen. Vor allem kommt es darauf an, wie sich die Nutzer verhalten: Wollen sie nur Shoppen und Klicken? Oder doch das Netz als eigenständiges Medium erhalten bzw. herausarbeiten? Dies kann nur gelingen, wenn die Kenntnis der Benutzer über das Medium und die Hintergründe steigt.

Gegen die finanzielle Macht der Konzerne und deren Lobbyarbeit ist nunmal leider nur schwer anzukommen. Auch daher ist eines der vorrangigen Ziele von Online-Demo: die Aufklärung. Nicht nur der Netizens, sondern auch von uns selbst.

dd: Vielen Dank für die erhellenden Worte hier.


[1]

dd: Anlöschen?
DRAGAN: Anlöschen ist eine Funktion in einem Programm zum Schneiden von Radio-Tonspuren und wurde in diesem Fall ein Klassiker bescheuerter Benutzeroberflächen. (more) Das Wort Anlöschen zeigt meiner Ansicht nach ganz gut, dass der Computer in der Vorstellung der meisten Leute eigentlich nur Löschen oder Nicht-Löschen kann. Anlöschen wagt sich ein wenig auf neues Terrain vor, aber man merkt es dem Wort schon an, dass hinter dieser Funktion eine ziemlich wackelige Vorstellung davon steckt, wie man das besser machen könnte.
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[2]

dd: Dataminen?
DRAGAN: Das ist alles immer so schwer ins Deutsche zu übertragen … :) Also das ist quasi Daten- Bergbau. Man hat eine große Menge Daten und schickt ein Programm hindurch, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Bei einer großen Menge Texte kann man zum Beispiel wichtige Wörter finden, indem man eine spezielle Gewichtung verwendet. Wörter die häufig in einem Text und häufig in allen anderen Texten vorkommen, sind weniger wichtig. Worte die in vielen Texten vorkommen sind wichtiger. Ein Wort das häufig in nur wenigen Texten vorkommt zeigt, dass diese Texte irgendwie zusammengehören, das gleiche Thema behandelnund so weiter.
ALVAR: Datamining bezeichnet auch einfach nur das Datensammeln, das Sammeln von Kundeninformationen, das Sammeln von Surf-Gewohnheiten wie bei DoubleClick und so weiter. Die Kunst ist dann, aus den gesammelten Daten das jeweils interessante herauszufischen bzw. zusammenzubauen.
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[3]

Inzwischen heißt das ODEM.org.
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dragan.espenschied@merz-akademie.de



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