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weeeeeeeeeeeeeeeeerner schrieb am 5.10. 2001 um 23:39:08 Uhr über

Kugelkopfschreibmaschine

Schreiben im Netz (Drohungen und Programm)

Die meisten Ansätze in der Diskussion und Konzeption einer »Literatur im Netz« greifen zu
kurz, weil sie hauptsächlich Aspekte der Distribution und Kommunikation beleuchten - und
die grundlegenden Operationen literarischer (oder generell textueller) Praxis ganz außer
acht lassen: das Schreiben (im Netz) selbst, eben die neuen Formen textueller
Produktivität in digitalen und vor allem vernetzen Schreib- und Leseumgebungen ...
An genau diesem Punkt setzen nun meine theoretischen und praktischen Aktivitäten
computer- und netzwerkunterstützten Schreibens an.
Ich möchte Ihnen zunächst einige Überlegungen - anhand ausgewählter Schlüsselstellen,
sozusagen einer Art »Wörterbuch der Gemeinplätze« - vorstellen zum Themenkomplex
Text-Generierungen, hyperliterarische und hypertextuelle Produktionsweisen, um Sie dann
im zweiten Teil zu entführen zu einer Odyssee durch das wilde WWW ...

Im noch »trockenen« papierenen textuellen Teil werde ich Sie noch einmal quälen mit
Fragestellungen und Positionen, die keinesfalls neu sind, von der Medientheorie, Netz-
oder Hypertextkritik erfunden, sondern die schon lange durch die Literatur- und
Mediendebatten geistern - und jetzt eine fröhliche Wiederauferstehung feiern angesichts
der vernetzen hypertextuellen Kulturtechniken ...
Wer spricht?
Keinesfalls ich, sondern sie hören einen Chor von Stimmen, ein Palimpsest sich
überlagernder Texturen und Schichten ...
Und ich hoffe, daß sie erfahren, wie ich selbst auch permenent mit der Form ringe und
verschiedene Sprechweisen, Masken, Rollen einnehmen, simuliere - und sicherlich
inzwischen auch schon selbst wieder parodiert, simuliert und umgeleitet werde durch, in
und um ... Netzprotokolle, Suchmaschinen-Listings, Mailinglist-Beiträge, Wissensportale,
Agenten ...

Ich danke ... und denke ...

... wem könnte mein Dank gelten?
Gutenberg oder James Joyce, Michael Joyce oder den Programmierern von Storyspace ...
den Programmierern von Microsoft Word TM, ohne die ich nie eine einzige Zeile hätte
schreiben können usw. usf. oder Linux Torwald und einer ganzen Schar weltweit im Netz
operierender und sich austauschender Entwickler und Nutzer von »Freier Software«, mit
deren Hilfe ich mich endlich befreien könnte vom Joch sogenannter Standard-Software,
die doch nie das macht bzw. die Operationen anbietet, die ich jetzt gerade benötige ... und
die ich vor allem auch nicht an meine Bedürfnisse anpassen kann ...

Sie merken schon, wie ich permanent abschweife - sicherlich bin ich selbst auch schon
längst »Lost in Hyperspace« und ich suche immer noch Tools , Schreib- und
Arbeitsumgebungen, die mich bei meiner Arbeit in und mit dem Chaos von Netztexten
unterstützen ...

(Jetzt scheint Netscape wieder abgestürzt zu sein - also Neustart im Hintergrund ...)

In den Texten, die sich auf meiner Festplatte angesammelt haben, klingen sowohl Fragen
nach der Autorschaft (und der Autorenfiktion) an, als aber auch immer wieder ganz
praktische Fragen nach den Aufschreibesystemen, Werkzeugen, der Software und den
Betriebssystemen - also letztlich den literarisch- diskursiven Produktionsmitteln, die der im
oder am Netz hängender Schreibende (und Lesende) benutzt, bzw. von denen er/sie
benutzt wird ...
»Das Schreibzeug arbeitet schließlich mit an unseren Gedanken« ...
mußte schon Nietzsche (nach seinen leidvollen Erfahrungen u.a. mit
Kugelkopfschreibmaschinen) feststellen - und er entwickelte -frei nach Friedrich Kittler -
u.a. auch im Kampf mit seinen Schreibutensilien z.b. seinen aphoristischen Stil ...

... und wir als »Untertanen« von Microsoft ... wie können wir als AutorInnen &
ProduzentInnen agieren, als LeserInnen im Netzwerk ?
...

Joyce gegen Gutenberg: 1:1

"Mit der Fusion von Technologie und Kultur hat es etwas Merkwürdige auf sich. [...] Als
James Joyce 1922 seinen Roman Ulysses veröffentlichte , der alle unseren Erwartungen
darüber revolutionierte, wie ein Buch aussehen solle, war er da sehr viel anders als
Gutenberg? Man konnte es damals zwar nicht erkennen, doch Joyce war ein
hochbegabter Techniker, der mit seiner Buch-Maschine herumexperimentierte und sie
Dinge tun ließ, die sie noch nie zuvor getan hatte. Seine Zeitgenossen hielten ihn für einen
Künstler (oder einen Pornographen, je nachdem mit wem man sprach), doch aus heutiger
Sicht hätte er ebensogut ein Propgrammierer sein können, der den Programmcode für eine
Satz- und Druck-Anwendung schreibt. Joyce schrieb die Software für eine Hardware, die
einst Johannes Gutenberg ersonnen hatte. Wenn man den Blickwinkel umkehrt, bleibt die
Analogie genauso gültig: Gutenbergs umwälzende Erfindung, welche die vorhandene
Manuskript-Technologie revolutionierte, die auf Gänsekiele und Schreiber angewiesen
war, bleibt ein ebenso profunder schöpferischer Akt wie Molly Blooms Schlußmonolog in
Ulysses. Beide Innovationen waren das Ergebnis aufregend einfallsreicher Sprünge nach
vorn, und beide veränderten unsere Sicht auf die Welt. Gutenberg baute eine Maschine,
die Joyce mit einigen innovativen Programmen frisierte, und Joyce brüllte die Variation
eines Themas hinaus, das ursprünglich Gutenberg zu Papier gebracht hatte. Beide waren
Künstler. Beide waren Techniker ..."
(Steven Johnson: Interface Culture. Wie neue Technologien Kreativität und
Kommunikation verändern,Stuttgart 1999, (OT: New York 1997, 11
online-Magazin Feed:
http://www.feedmag.com

Am Anfang war das Wort ("Die Imaginäre
Bibliothek")

(Background-Murmeln: aus der Hypermedia-Performance »CodeCrunsher«:)
http://www.audio.uni-lueneburg.de/text/code/index.htm
... es wurde gesprochen, getanzt, gesungen, geliebt, verdoppelt, erzählt, geknotet, gebetet,
wiederholt, rezitiert, vergessen, eingeritzt, eingebrannt, gemalt, gemeißelt, geschrieben, in
Tabellen gelistet, in magischen Formeln versteckt, gedruckt, gebunden, verlegt, als
Fußnote an den Rand gedrängt, indiziert, gereimt, gezählt, formalisiert, codiert, compiliert,
gespeichert, gescannt, als Muster wiedererkannt, übertragen, gefaxt, verschlüsselt,
komprimiert, optimiert, transformiert, konvertiert, genormt, gelöscht, gelinkt,
überschrieben, als Absprungsort markiert, zum Objekt erklärt, als Programm aktiviert, das
Worte schafft...
Das Universum, das andere die Bibliothek nennen, setzt sich aus einer undefinierten,
womöglich unendlichen Zahl ineinander verschachtelter Bildschirme zusammen. Weite, in
die Tiefe führende Wege, die nur über das Aktivieren bestimmter Schalter zu erreichen
sind, werden eingefaßt durch Markierungen am Rande dieser Blätter aus vergessenen
Schätzen geschriebener, gezeichneter, imaginierter Buch-Utopien.
Die Anordnung der auf dem Bildschirm erscheinenden Bücher ist niemals dieselbe,
ebensowenig die Art und Weise, in der sich der Benutzer durch die verschiedenen Gebiete
der Bibliothek hindurchbewegt.
Das Buch ist bisher das radikalste Interface für den Entwurf virtueller Welten. Alle anderen
Maschinen an die sich der Mensch derzeitig anschließen kann, spiegeln hauptsächlich ihre
eigene Funktionalität zurück oder lassen den gelangweilten Geist in raffinierte
Rückkopplungsschleifen eintreten: Brainmachines. Sie erscheinen als blasse Abbilder eines
phantasmagorischen Lesens.[1]http://www.hyperdis.de/pool/

Eine Bibliotheks- / Bildschirm-phantasie: eine
gewisse chinesische Enzyklopädie

Etwas wunderbares erscheint auf dem virtuellen Schirm, auf dem ein Schwarm vergessener
Wörter sich mit lichtenen Lettern wie Viren ausbreitet ... das Imaginäre haust zwischen der
Desktop-Oberfläche und dem Klicken ... man braucht, um zu träumen, nicht mehr die
Augen zu schließen, man muß Navigieren ... Inter-Agieren ... Bild-Schirm-Denken ...
Massen und Partikel von winzigen Informationen, Parzellen und Bruchstücke von
Dokumenten verdichten und verflüchtigen sich ...

"Das Imaginäre konstituiert sich nicht mehr im Gegensatz zum Realen [...] es dehnt sich
von Buch zu Buch zwischen den Schriftzeichen aus, im Spielraum des
Nocheinmal-Gesagten und der Kommentare; es entsteht und bildet sich heraus im
Zwischenraum der Texte. Es ist ein Bibliotheksphänomen."
(Michel Foucault: Die Phantasmen der Bibliothek, in: Foucault: Botschaften der Macht.
Der Foucault-Reader Diskurs und Medien, hrsg. von Jan Engelmann, Stuttgart 1999, S.
85-91, hier: S. 87)
Da ist im Hintergrund ein Lachen zu hören, das immer mehr anschwillt und das
automatische Display des folgenden Fragments auf pergamentener fast durchscheinender
Oberfläche nach der Art eines vielschichtigen Palimpsestes fast in den Hintergrund drängt:
" Dieses Buch hat seine Entstehung einem Text von Borges zu verdanken. Dem Lachen,
das bei seiner Lektüre alle Vertrautheiten unseres Denkens aufrüttelt, des Denkens unserer
Zeit und unseres Raumes, das alle geordneten Oberflächen und alle Pläne erschüttert und
unsere tausendjährige Handhabung des Gleichen und des Anderen schwanken läßt und in
Unruhe versetzt. Dieser Text zitiert »eine gewisse chinesiche Enzyklopädie«, in der es
heißt, daß "die Tiere sich wie folgt gruppieren: a) Tiere, die dem Kaiser gehören, b)
einbalsamierte Tiere, c) gezähmte, d) Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere, g)
herrenlose Hunde, h) in diese Gruppierung gehörige, i) die sich wie Tolle gebären, k) die
mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, l) und so weiter, m) die den
Wasserkrug zerbrochen haben, n) die von weitem wie Fliegen aussehen.'(Jorge Luis
Borges, Die analytische Sprache John Wilkins', in: ders., Das Eine und die Vielen. Essays
zur Literatur, München 1966, S.212) Bei dem Erstaunen über diese Taxinomie erreicht
man mit einem Sprung, was in dieser Aufzählung uns als der exotische Zauber eines
anderen Denkens bezeichnet wird - die Grenze unseres Denkens: die schiere
Unmöglichkeit, das zu denken." (Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine
Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt/Main, 1971)

Computer als Theater: Das Gastmahl

... ein Vorteil virtueller Welten ist die Befreiung von den drei aristotelischen Einheit von
Zeit, Ort und Handlung, durch deren Zusammenspiel eine klassische dramatische Situation
gekennzeichnet ist. Medienereignisse dagegen erscheinen als simultane, sich überlagernde
Schichten, als Unterbrechungen, Sprünge, rhizomatische Wucherungen, die einerseits an
jeder Stelle abbrechen und andererseits alles mit allem verbinden können. Was kümmern
Interface-Designer, Medienkünstler, Internet-Nutzer die klassischen Stellen, die
Gedächtniskünste, Zitatnachweise oder Autorschaften? Selbst exzessiver Mediengebrauch
weckt keinen Hunger nach einer Archäologien der Medien oder nach kulturhistorischen
Verschaltungen. Sie wähnen sich in der Gestaltung ihrer Desktops und Oberflächen
vollkommen frei ("im Rahmen der vom Betriebssystem oder den zugrunde liegenden
Übertragungsprotokollen vorgegebenen Parametern!" souffliert der animierte Hilfs-Clown
vom Rande der Desktop-Bühne), müssen sich an keine feste Tischordnung / Sitzordnung
halten.
Um den linearen Geschichts- und Diskursmodellen der Buchkultur endgültig zu entfliehen,
stellen wir ein virtuelles Gastmahl zusammen und bitten die klassichen Meisterdenker Platz
zu nehmen, um (in der öden Gesellschaft von Bildschirmschonern) den Abgang der
Gutenberg-Galaxis mit dem Schauspiel ihres Denkens zu zelebrieren.
Die Protagonisten erscheinen auf dem Desktop dargestell durch stilisierte comikhaft
sprechende Icons, die mittels eines Sprachsynthese-Programms die entsprechenden
Textstellen direkt aus dem Internet 'vorlesen':

Plato: Schrift tötet lebendiges Gedächtnis

Plato, sich gleichermaßen gegen Literatur im Netz als auch gegen die Schrift prinzipiell
wendend simuliert seinerseits einen Dialog zwischem seinem nur mündlich lehrenden Lehrer
Sokrates mit Phaidros, in dem die Schwäche der Schrift im Gegensatz zu dialogischen
Kultur herausgestellt wird:
"Denn dieses Schlimme hat doch die Schrift, Phaidros, und ist darin ganz eigentlich der
Malerei ähnlich; denn auch diese stellt ihre Ausgeburten hin als lebend, wenn man sie aber
etwas fragt, so schweigen sie gar ehrwürdig still. Ebenso auch die Schriften: Du könntest
glauben, sie sprächen, als verständen sie etwas, fragst du sie aber lernbegierig über das
Gesagte, so bezeichnen sie doch nur stets ein und dasselbe. Ist sie aber einmal
geschrieben, so schweift auch überall jede Rede gleichermaßen unter denen umher, die sie
verstehen, und unter denen, für die sie nicht gehört, und versteht nicht, zu wem sie reden
soll und zu wem nicht."
(Platon, Phaidros. in: Sämtliche Werke 4, Hamburg 1957, S.56 )

Derrida: bloß nicht an der Oberflächen bleiben!

Derrida, müde und abgespannt wirkend vom dauernden differenzieren und
dekonstruieren, pflichtet ihm bei und überbietet ihn noch (wer hätte das gedacht - oder
handelt es sich um ein Mißverständnis, einen Übersetzungs- oder Übertragungsfehler?)
"Was es heute zu Denken gilt, kann in Form der Zeile oder des Buches nicht
niedergeschrieben werden. (155) Wenn wir den Text vom Buch abheben, dann wollen wir
damit sagen, daß der Untergang des Buches, wie es sich heute in allen Bereichen andeutet,
die Oberfläche des Textes bloßlegt. (35)
Kinematographie, Choreographie, aber auch 'Schrift' des Bildes, der Musik, der Skulptur
usw. Ebensogut könnte man von einer athletischen Schrift sprechen und, in Anbetracht der
Techniken, die heute dieses Gebiet beherrschen, mit noch größerem Recht von einer
Schrift des Militärischen oder des Politischen. [...] Im Hinblick auf die elementaren
Informationsprozesse in der lebenden Zelle spricht auch der Biologe heute von Schrift und
Pro-gramm. Und endlich wird der ganze, vom kybernetischen Programm eingenommene
Bereich [...] ein Bereich der Schrift sein. (21) Entgegen allem Augenschein kündigt der
Tode des Buches zweifellos [...] bloß einen Tod des gesprochenen Wortes und eine neue
Mutation in der Geschichte der Schrift [...] an. (20) Wie schon bei Platons Schrift der
Wahrheit in der Seele haben wir es auch noch im Mittelalter mit einer im metaphorischen
Sinnen verstandenen, natürlichen, ewigen und universalen Schrift zu tun [...]. Wie im
Phaidros bleibt ihr eine gewissermaßen abgefallene Schrift entgegengesetzt. (31)"
(Derrida, Jacques: Grammatologie, Frankfurt/Main 1974, Originaltitel: De la
grammatologie, Paris 1967)

Plato: Verwerfung jeglichen Schreibens

Plato, jetzt wirklich sauer auf diesen Versuch, die Schrift wieder aus den Klauen der
Mündlichkeit zu befreien, wird laut und unflätig:
"Denn diese Erfindung wird den Seelen der Lernenden vielmehr Vergessenheit einflößen
aus Vernachlässigung des Erinnerns, weil sie im Vertrauen auf die Schrift sich nur von
außen vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich sich selbst und unmittelbar erinnern
werden. Nicht also für die Erinnerung, sondern nur für das Erinnern hast du ein Mittel
erfunden, und von der Weisheit bringst du deinen Lehrlingen nur den Schein bei, nicht die
Sache selbst. "
(Platon: Phaidros. in: Sämtliche Werke 4, 7-61, nach Friedrich Schleiermachers
Übersetzung von Walter F. Otto, Ernesto Grassi und Gert Plamböck herausgegeben,
hier:55)

Bonaventura: Schreiber, Kompilator, Kommentator, Autor - eine
Kampffront

Bonaventura führt seine Hand an die Lippen, möchte am Liebsten wortlos (oder lautlos?)
reden, verweist auf den alten Leiseleser und reicht seine Randbemerkungen an den
(virtuellen) Diskursleiter weiter, der folgende Worte in einer alten, kaum leserlichen
Frakturschrift biledschirmfüllend über den Screen scrollen läßt:
"Es gibt vier Arten, ein Buch zu machen. Man kann Fremdes schreiben, ohne etwas
hinzuzufügen oder zu verändern, dann ist man ein Schreiber (scriptor). Man kann Fremdes
schreiben und etwas hinzufügen, das nicht von einem selbst kommt, dann ist man ein
Kompilator (compilator). Man kann auch schreiben, was von anderen und von einem
selbst kommt, aber doch hauptsächlich das eines anderen, dem man das Eigene zur
Erklärung beifügt, und dann ist man ein Kommentator (commentator), aber nicht ein Autor.
Man kann auch Eigenes und Fremdes schreiben, aber das Eigene als Hauptsache und das
Fremde zur Bekräftigung beifügen, und dann muß man als Autor (auctor) bezeichnet
werden."
(Illich, Ivan: Im Weinberg des Textes. Als das moderne Schriftbild entstand. Ein
Kommentar zu Hugos »Didascalicion«, Frankfurt/Main 1991, Übersetzung (aus dem
Englischen) Ylva Eriksson-Kuchenbuch, Originaltitel: L'Ere du livre, Paris 1990, 112)
In einer Schrift zum Lob der Schreiber versucht ein benediktinischer Abt seine
Ordensbrüder von der Notwendigkeit des manuellen Abschreibens der heiligen Bücher
angesichts der heraufkommenden Reproduktionsmöglichkeiten der Drucktechnologie zu
überzeugen:

Trithemius: Lob des Schreibers

"Wer wüßte nicht, welcher Unterschied zwischen Handschrift und Druck besteht? Die
Schrift, wenn sie auf Pergament geschrieben wird, vermag tausend Jahre zu überdauernd;
wie lang wird aber der Druck, der ja vom Papier abhängt, Bestand haben, wenn ein
Papiercodex zweihundert Jahre überdauert, ist es viel; gleichwohl glauben viele, ihre Texte
dem Druck anvertrauen zu müssen. Hierüber wird die Nachwelt befinden. Selbst .wenn
jetzt schon viele Bände gedruckt vorliegen, werden doch niemals so viele gedruckt sein
sein, daß man nicht etwa wieder etwas zum Schreiben wird finden können, das noch nicht
gedruckt ist. Schwerlich wird auch jemand alle gedruckten Bücher auffinden oder für sich
erwerben können. Selbst wenn alle Werke der ganzen Welt gedruckt würden, bräuchte
ein hingebungsvoller Schreiber von seinem Eifer keineswegs abzulassen; er müßte vielmehr
auch den gedruckten und nützlichen Büchern Dauer verleien, indem er sie abschreibt, da
sie ansonsten nicht lange bestand hätten. Erst seine Leistung erwirbt den dürftigen Werken
Autorität, den wertlosen Größe und den vergänglichen Langlebigkeit. Ein begeisterter
Schreiber wird jedenfalls immer etwas finden, was seiner Bemühung wert ist. Er begibt
sich nicht unter die Abhängigkeit des Druckers; er ist frei und erfreut sich seiner Freiheit,
indem er seine Aufgabe erfüllt. Und er sit dem Drucker keineswegs so unterlegen, daß er
wegen dessen Kunst seine bemühungen aufgeben müßte."
(Trithemius, Johannes: De Laude Scriptorum. Zum Lobe der Schreiber. Eingeleitet und
übersetzt von Klaus Arnold. Würzburg 1973, Originaltitel 1492, 63 ff)
Im Gegensatz zu den AutorInnen haben es die Literatur- und MedientheoretikerInnen
schon immer gesagt: Das Buch ist tot, der Autor ist tot, Lesen ist das Ausfüllen von
Leerstellen im Text. Seltsame Widersprüche zur gesellschaftlichen Praxis werden evident:
Immer noch erscheinen Bücher mit Autorennamen auf dem Cover ..., aber andere
Produktions- und Distributionsweisen scheinen sich zumindest im Universum vernetzter
elektronischer Texte anzudeuten.
In der Problematisierung von Copyright und Eigentumsverhältnissen von Texten und
Bildern im Internet werden zumeist die modernen bürgerlichen Rechtsnormen als
unhinterfragte Bezugspunkte gesetzt, ohne deren historische Relativität zu berücksichtigen.
Ein diskurshistorischer Blick auf die Entstehung der Autorenfunktion von Texten zeigt
hingegen, daß Texte auch ohne Autorennamen zirkulieren können.

Foucault: Im Namen des Autors: Sie sind entwaffnet!

Foucault stoppt sein dauerndes störendes Getuschel mit Derrida (in einem mit
Geheimcodes durchsetzen fränzösisch) und sieht seine Chance, das Blatt zu wenden:

"Andererseits gilt die Funktion Autor nicht überall und nicht ständig für Diskurse. In
unserer Kultur haben nicht immer die gleichen Texte einer Zuschreibung bedurft. Es gab
eine Zeit, in der die Texte, die wir heute >literarisch< nennen (Berichte, Erzählungen,
Epen, Tragödien, Komödien), aufgenommen, verbreitet und gewertet wurden, ohne daß
sich die Autorfrage stellte [...]. Im Gegensatz dazu wurden die Texte, die wir heute
wissenschaftlich nennen, über die Kosmologie und den Himmel, die Medizin und die
Krankheiten, die Naturwissenschaften oder die Geographie im Mittelalter nur akzeptiert
und hatten nur dann einen Wahrheitswert, wenn sie durch den Namen des Autors
gekennzeichnet waren."
(Foucault, Michel: Schriften zur Literatur, Frankfurt/Main 1979, 19)

Die Autorenfunktion wird also - je nach dem technischen Stand des
Kommunikationssystems - erst als ein medialer Effekt des jeweils vorherrschenden
Informationssystems der Wissensverarbeitung produziert.
Jetzt erscheint ein freundlicher, aber harmloser Software-Agent auf dem Bildschirm und
fordert den Vortragenden auf, endlich zum Thema zu kommen, mit dem Vorspiel
aufzuhören, genug des gelehrigen Geschwätzes, brauche es den einen solchen
theoretischen Unterbau für das kollaborative Schreiben im Netz?
...
Schnell schließe ich das Fenster dieser wirklich spannend programmierten JAVA-
Applikation, die an frühe Text-Adventures erinnert und wähle mich (aus Gewohnheit oder
Langeweile) ins Internet ein. Das hohe Piepen des internen Modems aktiviert meine
Zirbeldrüse. Der Ton steht einen kurzen Moment, kippt ... Jetzt bin ich drin. Eine gewisse
Unruhe ergreift Besitz von mir. Der Desktop ist ein Terminal geworden. Terminalstadien
des Denkens? Ankünfte und Abfahrten ...

Aus dem Lautsprecher dröhen Protestrufe einer meuternden Menge, aufgenommen auf
einer Demonstration für freie Netzkunst 1996. Die unheimlich starke Datenreduktion
verführt allerdings dazu, anzunehmen, es würde sich um irgendeinen historisch weit
zurückliegenden Aufstand handeln, vielleicht die Erstürmung des Winterpalais oder die
Treppenszene aus Panzerkreuzer Potemkin ...


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