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® schrieb am 15.5. 2011 um 14:02:47 Uhr über

Journalisten


Journalisten in der Kritik (Bild: Stock.XCHNG / Atena Caline Azevedo Kasper) Medienschelten oder: Der Kampf um die Deutungshoheit
Journalismus in der Krise (1/2)
Von Sabine Pamperrien
Die Medienschelten wollen kein Ende nehmen. Es hagelt Buchveröffentlichungen über die Zunft der »Wichtigtuer« und die »Verwahrlosung« ihres Berufsstands. Journalisten stehen im Kreuzfeuer der Kritik.

In die Schusslinie geraten sind vor allem jene »Alpha-Journalisten«, über die es heißt, sie gefielen sich entweder in epochaler Prophetenpose über der kleingeredeten Politik oder mischten sich als populistische »Gaukler« unters Volk.

Dadurch würden die Grenzen zwischen Politik und Politikberatung, Beobachtung und Unterhaltung verletzt und allzu große Distanz zum Volk gehalten. Kampagnenjournalisten werfen Kampagnenjournalisten Kampagnen vor. Auch die neue Gattung des Online-Journalismus sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, nur den Spielregeln und Erregungsfaktoren einer Aufmerksamkeitsökonomie verpflichtet zu sein. Eine rationale Debattenkultur bleibe dabei auf der Strecke.

Handelt es sich bei solchen Medienschelten um eine überzogene Pauschalkritik oder um ein berechtigtes Alarmschlagen? Dem wollen wir mit einem Essay-Doppel unter dem Titel »Journalismus in der Krise« auf den Grund gehen.

Den Anfang macht Sabine Pamperrien mit ihrem engagierten Essay zum Thema »Medienschelten oder: Der Kampf um die Deutungshoheit«. Die Autorin veröffentlicht unter anderem im »Freitag« und in der »Frankfurter Allgemeinen«.



Medienschelten oder: Der Kampf um die Deutungshoheit
Von Sabine Pamperrien

Seit einigen Jahren häufen sich Publikationen über den angeblichen Niedergang des politischen Journalismus in Deutschland. Oft arbeiten sich dabei namhafte Publizisten in wahren Schreckensszenarien am Zustand ihrer eigenen Zunft ab.

Lutz Hachmeister legte mit seinem Buch »Nervöse Zone« vor. Der angesehene Kommunikationswissenschaftler beschrieb schon früh die seltsame Vermischung von Politik und Medien im Berliner Regierungsviertel. In Berlin-Mitte ist danach eine Parallelgesellschaft entstanden, in der sich ausgerechnet die wichtigsten Repräsentanten der Demokratie vom Bürger und dessen Willen abschotten.

»Einflussreiche Publizisten haben schon immer politisch wirken wollen; hier aber haben sich journalistische Stile und Richtungen, die lange Zeit auseinanderzuhalten waren, so sehr angenähert, dass von einem zentristischen Mainstream gesprochen werden kann, der in nervösen Kettenreaktionen zur Verteidigung des eigenen kommoden Wohlstands aufruft.«

Tissy Bruns, frühere Vorsitzende der Bundespressekonferenz, rechnet unter dem vielsagenden Titel »Republik der Wichtigtuer« mit ihren Kollegen ab, die ihr freilich entgegenhalten, dass die Kritiker der Wichtigtuer selber die allergrößten seien. Für Bruns gehört gleich die ganze Zunft auf die sprichwörtliche »Couch«:

»Die Ruhmsucht ist zur großen Versuchung für die Politik geworden. Die Verführung ist ein Kinderspiel, der Zugang zum Stoff jederzeit möglich, die öffentliche Darbietung das Gegenteil einer angemessenen Inszenierung. Denn hier sitzen Medien und Politik, die sich so oft gegenseitig die Verantwortung für Oberflächlichkeit und Verflachung geben, in einem Boot

TAZ-Mitbegründer Tom Schimmeck kann nach über 30 Jahren Tätigkeit für zahlreiche renommierte Medien in seinem »Am besten nichts Neues« fast nur noch Schmierenjournalismus entdecken.

»Gleichschaltung und Herdentrieb sind so stark wie seit Adolf nicht mehr

Starker Tobak, doch Schimmeck vermisst Aufklärer mit Verantwortungsgefühl für ihre gesellschaftliche Funktion. Im Journalismus seien nurmehr »Demagogoskopen« und »Character Assassins« unterwegs.

»Scham ist ein Gefühl, das mich als Journalist früher selten beschlich. Solch geballter Furor aber, so viel gleichgeschalteter Schmierenjournalismus ist bestürzend. Hier haben sich Altvordere unserer Zunft mit einer jungen Garde von Zynikern zusammengetan, um kollektiv eine Gruppe nicht sehr mächtiger Politiker niederzumachen. 'Character Assassins' heißen solche Journalisten in den USA, was mit Rufmörder nur unzureichend übersetzt ist

Passend zu solchen Zuschreibungen bestätigen gleich mehrere Publikationen des Kommunikationswissenschaftlers Stephan Weichert mit wechselnden Ko-Autoren den Eindruck eines fatalen Sittenverfalls.

In seinem jüngst erschienenen Buch über »Die Meinungsmacher« resümiert er, der deutsche Journalismus befinde sich im Zustand der schleichenden Verwahrlosung.

»Eine kleine Gemeinde geltungssüchtiger Medienpromis, die sich gern mit Politikern in der Öffentlichkeit zeigen, dominiert das redaktionelle Tagesgeschäft, zettelt Debatten an, lenkt das politische Feuilleton und wirkt in die öffentliche Sphäre hinein. Durch ihr dauerhaftes Mitteilungsbedürfnis auf allen Medienkanälen sichern sich diese Lichtgestalten ein Mitspracherecht auf höchster Ebene und beeinflussen so zugleich, was ihre Kollegen denken und publizieren - oder verschweigen

Stephan Weichert, dem Hochschullehrer der privaten Hamburger Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation, verdanken wir auch den gängigen Negativbegriff vom »Alphajournalisten«, der in allen Medienschelten die Runde macht und der in der SPD-nahen Zeitschrift »Neue Gesellschaft« einmal wie folgt definiert wurde:

»Er organisiert in einflussreicher Position nicht nur die Thematisierung, sondern auch die Entthematisierung politischer Fragen. Er will durch eine kommerziell angetriebene Netzwerkarbeit über die ehemaligen Blatt- und Genregrenzen hinweg entscheiden, was herrschende Meinung im Lande werden soll. Präsentismus und Privatismus der daraus resultierenden Öffentlichkeit erzeugen ein Klima und schaffen Zugangsbedingungen, die es oft schwer machen, politische Richtungsdebatten überhaupt noch zu führen. [...] Das Übergewicht gründlich widerlegter, aber von starken Interessen getragener Ideen blockiert den öffentlichen Raum und das Denken der Handelnden. [...] Kommerzialisierung, Entertainisierung und Heiligung des Status quo verschmelzen

So verschwörungsideologisch sich derartige Kampfdefinitionen auch anhören mögen - die Medienkritik unserer Tage liegt durchaus auf einer Wellenlänge mit den negativen Einschätzungen in der Bevölkerung. Umfragen scheinen den desolaten Zustand zu bestätigen. Im gesellschaftlichen Ansehen von Berufsgruppen finden sich Journalisten neben Lehrern und Politikern. Doch wie passen die Ergebnisse einer aktuellen Forsa-Umfrage zur Bedeutung verschiedener Berufs- und Gesellschaftsgruppen für das Funktionieren der Demokratie in Deutschland zu dieser Verachtung? Dort liegen hinter den führenden Lehrern Journalisten und Politiker mit großem Abstand vor anderen Gruppen. In der Logik der massiven Medienkritik belegen die beiden scheinbar widersprüchlichen Ergebnisse den desaströsen Zustand der Demokratie. Die Bürger finden sich danach in der Berichterstattung genauso wenig wieder wie in der Politik.

Überall seien Strippenzieher am Werk, die sich einen feuchten Kehricht um ihre Verantwortung für die Gesellschaft kümmerten.

Fahrlässig - wenn nicht sogar vorsätzlich - würde die wichtige Funktion der Kontrolle der Mächtigen im Lande aufgegeben, heißt es immer wieder. Aus den Wachhunden der Demokratie seien Schoßhündchen der tonangebenden Klasse geworden.

Angesichts der wirtschaftlichen Dauerkrise der Medien durch Einbrüche im Anzeigengeschäft und der existenziell bedrohlichen Konkurrenz durch das Internet ist man mit dem Korruptionsvorwurf heutzutage schnell bei der Hand.

Es geht hier also nicht nur um den Verlust der Reputation eines Berufsstands, sondern auch in der Konsequenz um schwerwiegende Demokratiedefizite.

Ganz unverfroren bedienten Journalisten politische Interessen und seien sich nicht einmal mehr darüber bewusst, dass sie mit ihrer Korrumpierbarkeit das fein austarierte demokratische System destabilisierten.

Das Journalisten-Bashing ist in Mode gekommen.

Zahlreiche Kongresse, Fachtagungen und Podiumsdiskussionen führen immer wieder zu gleichen Negativbefunden. Doch wie »verwahrlost« und »Demokratie gefährdend« ist unser Journalismus wirklich?

Untersuchen wir zunächst zwei Kampfbegriffe, die im Rahmen der Medienkritik einen zentralen Stellenwert bekommen haben. Da ist zum einen die fast schon selbstverständliche Rede von den Medien als einer »vierten Gewalt«, die ihren Auftrag als Kontrolleur der Macht und Hüter der Demokratie nicht mehr wahrnehme. Hierbei handelt es sich freilich um ein Schlagwort, das nur höchst unzulänglich die Funktion der Presse in Demokratien umschreibt.

Als subjektives Recht gewährleistet Artikel 5 des Grundgesetzes den im Pressewesen tätigen Personen und Unternehmen Freiheit von staatlichem Zwang. In seiner objektiv-rechtlichen Bedeutung schützt das Grundgesetz ferner die »institutionelle Eigenständigkeit« der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung.

Die Verfassung kennt die wichtige Funktion der Massenmedien für die Bildung der öffentlichen Meinung in der Demokratie. Deshalb wird Meinungsvielfalt staatlicherseits zum Beispiel mit der Verhinderung marktbeherrschender Stellungen von Medienunternehmen gesichert, aber auch durch binnenplurale Strukturen wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Wesentlich ist, dass es um Strukturen geht, die die freie Meinungsbildung ermöglichen sollen. Der Begriff von der »vierten Gewalt« wird heute nicht mehr als Nobilitierung eines freiheitlichen Auftrags verwandt, sondern als Menetekel, um die drei anderen Gewalten - Gesetzgebung, Rechtsprechung und Exekutive - möglichst gegen die als omnipotent und gefährlich beschriebenen Medien reglementierend in Stellung zu bringen.

In den Niedergangsbeschreibungen der Medienkritik spielt auch der Hinweis auf das Ausschlachten von Erregungsszenarien eine herausragende Rolle. Die Vermittlung von Politik in den Medien findet diesen düsteren Prognosen nach inzwischen vorwiegend über eine boulevardeske Zurichtung politischer Sachverhalte statt. Als Klammer all dieser angeblichen Fehlentwicklungen taucht dabei stets ein weiterer Kampfbegriff auf, der hier unter die Lupe genommen werden soll: der des »Kampagnenjournalismus«.

Medienkritiker sind der Ansicht, dass die Medien die freie Meinungsbildung nur noch simulieren. Der Wirtschaftswissenschaftler Albrecht Müller, dessen Blog »Nachdenkseiten.de« zu den meistgelesenen politischen Blogs in Deutschland gehört, zählt auf, was ihn stört:

»Wir haben Kampagnen- statt kritischem Journalismus. Wir bekommen Kommerz statt Aufklärung, Verblödung statt Bildung. Wir werden mit der Gefolgschaft zu Parteien und dem Personal der Politik abgefertigt, statt kritische Distanz zu wahren. Wir bekommen eine Berichterstattung, die geprägt ist durch Nähe und Kooperation mit Wirtschaft und Verbänden statt durch Vorsicht und Abstand. Wir sehen die Verneigung vor den Mächtigen und vermissen die Zuneigung zu den Schwächeren. Wir erleben Nachklappern und Nachplappern statt Analyse und Nachdenken

Müller kann sich breiter Zustimmung gewiss sein. Die Vorwürfe des abgewählten ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender gegen seine parteiischen Kollegen oder auch das Versagen von Teilen des Wirtschaftsjournalismus vor der Finanzkrise dienen dabei als gravierende Belege für den Mangel an objektiver Berichterstattung und kritischer Distanz.

Dass aber früher medial vieles anders lief als heute, hat eher mit den ausgestandenen Grundsatzkonflikten wie denen zu Zeiten des Kalten Krieges zu tun als mit einer angeblich größeren Unabhängigkeit der Berichterstattung. Vor allem existierten scharf konturierte Feindbilder und Lagerzuordnungen.

Medienschelten machten sich schon immer gut. Die notwendigen Reflexe funktionieren seit den polarisierenden 1970er-Jahren bestens. Damals richteten sich die Attacken von links gegen die Springer-Presse, den »Bayernkurier« des Franz Josef Strauss oder das ZDF-Magazin des nimmermüden kalten Kriegers, Gerhard Löwenthal. Während von rechts gegen den angeblichen »Rotfunk« beim HR, WDR und NDR oder gegen die sogenannte »Hamburger Mafia« geschossen wurde - gemeint waren damit Augsteins »Spiegel«, Henry Nannens »Stern« oder die »Zeit« der Gräfin Dönhoff.

Vielleicht hantieren die Kritiker auch deshalb mit Schablonen. Albrecht Müller etwa zählt zu den Vordenkern strategisch ausgerichteter politischer Kommunikation in Deutschland. Unter den Kanzlern Brandt und Schmidt war er überaus erfolgreich im Dienst der SPD tätig, unter anderem als Wahlkampfplaner der »Willy wählen«-Kampagne 1972, die seinerzeit viele Intellektuelle, Künstler und Journalisten für die SPD mobilisierte. Als Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt entwickelte er politische Marschpläne.

Ohne unterstützende Öffentlichkeitsarbeit, schreibt er selbst, sei die zunächst hart umfochtene Ost- und Entspannungspolitik Willy Brandts nicht denkbar gewesen. Schließlich musste einer systematisch aufgebauten und tief verwurzelten Feindseligkeit gegenüber den Russen, der Sowjetunion und den Kommunisten entgegengearbeitet werden. Brandts glanzvoller Wahlsieg mit Müllers glorreicher Kampagne wurde von vielen Zeitgenossen als Volksentscheid über die Ostpolitik gewertet. Vermittelt wurde das zwar auch in Fußgängerzonen und Stadthallen, nachhaltig wirksam aber über die Medien.

Nach der schlichten Parteilogik, mit der wir es hier zu tun haben, erfüllen Journalisten offenbar ihre Aufgabe als Hüter der Demokratie nur dann, wenn sie sich für »gute« politische Kampagnen von Parteien, Gewerkschaften oder Bürgerinitiativen vereinnahmen lassen. Dagegen betreiben Publizisten nur verdammungswürdigen »Kampagnenjournalismus«, wenn sie den politischen Gegnern oder dubiosen Interessengruppen nahe stehen.

Halten wir fest: Für Albrecht Müller ist die Kampagne für die neue Ostpolitik ein Beispiel gelungener Aufklärung. Der von ihm kritisierte »Kampagnenjournalismus« aber dient nur der Desinformation. Damit wird aber die eigene Forderung nach Diskursivität - sprich: nach freier Meinungsbildung - ad absurdum geführt. Denn eine Kampagne zielt immer auf ein ganz bestimmtes Ergebnis, nicht aber auf eine ergebnisoffene Diskussion.

Zugespitzt ließe sich fragen, ob eine Kampagne überhaupt zu freier Meinungsbildung führen kann, denn Ziel ist ja gerade die Beeinflussung und nicht etwa bloße Information zur Verfügung zu stellen. Es gehört zum Wahlkampfgeschäft von Parteien, Kampagnen zu fahren. Dass jemand wie Müller, der einst erfolgreich Journalisten für seine Zwecke agitierte, nun die politische Beeinflussbarkeit von Journalisten an den Pranger stellt, lässt sich wohl nur mit der Obsession erklären, dass hier beanspruchte Wahrheiten oder moralische Überlegenheitsgefühle im Spiele sind.

Eine Erklärung für dieses elitäre Verständnis vom eigenen Wirken auf die Meinungsbildung ist schnell gefunden. Peter Glotz, einst scharf analysierender Vordenker der SPD, rekurrierte zu seiner Zeit in den 1980er-Jahren auf das Modell der »kulturellen Hegemonie« des italienischen Kommunisten Gramsci aus den 1920er-Jahren. Politische Macht artikuliert sich danach nicht mehr allein durch die tatsächliche Ausübung von Herrschaft, sondern durch die Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Sinne der herrschenden Gruppen.

Selbst, wenn der hierdurch ermöglichte gesellschaftliche Konsens über die Interessen der Herrschenden höchsten moralischen Kriterien entsprechen würde, wäre er aber doch nicht Resultat freier Meinungsbildung, sondern wirksamer Beeinflussung.

Zu den Topoi »Kampagne« und »kulturelle Hegemonie« gesellte sich in der Folge auch der von der »Deutungshoheit«, seither Lieblingsbegriff aller wehleidigen Verschwörungstheoretiker, Richtungsschnüffler und Zeitgeistastrologen. Hinter solchen Begriffen verbirgt sich der geheime Wunsch nach Beherrschbarkeit der öffentlichen Meinung und nicht die Vision eines lebhaften öffentlichen Diskurses als Movens einer pulsierenden Demokratie.

Auch Tom Schimmeck prangert den »Kampagnen-Journalismus« - natürlich den der Gegner als Vorboten eines neuen Totalitarismus an.

»Den politischen Interessengruppen, denen der Journalismus derzeit dient, geht es primär darum, auf dem Weg zur Seele des Politkonsumenten möglichst unbemerkt am Denkapparat vorbeizukommen.«

Die theoretische Unterscheidung zwischen denen, die ihre Denkfähigkeit überhaupt erst durch politische Kampagnen erlangen und jenen, die durch politische Kampagnen verblödet werden, kann aber wieder nur der erleuchtete Journalist treffen.

Dass ausgerechnet mit solchen elitären Vorstellungen die demokratische Willensbildung gefördert werde, grenzt ans Groteske. Dies spiegelt sich im festen Glauben an eine Handvoll Meinungsführer und in der völligen Unterschätzung der Adressaten.

Natürlich ist nicht alles Kampagne, was als Kampagne stigmatisiert wird. Den klassischen Fall einer Kampagne machte vor einigen Jahren der Journalist und Kommunikationswissenschaftler Vasco Boenisch aus, als er eine Forschungsarbeit verfasste über die Artikelserie gegen den damaligen Vizekanzler Joschka Fischer und Umweltminister Jürgen Trittin und deren Nach-68er-Vergangenheit als Steinewerfer und Gewaltdemonstranten. Im Jahre 2000 sorgte dies für allerhand Aufregung.

Boenisch konnte mit zahlreichen Belegen beweisen, dass damals tatsächlich eine Kampagne inszeniert worden war. Zugleich definierte er aber auch erstmals, was überhaupt eine Kampagne sei. Erst, wenn zahlreiche Kriterien tendenziöser Berichterstattung zusammenkämen, könne von einer Kampagne die Rede sein, die

»zur Verwirklichung eines übergeordneten, persönlich motivierten Ziels die Berichterstattung zu einem Thema innerhalb eines bestimmten Zeitraums intensiviert, unter dramaturgischen und strategischen Gesichtspunkten arrangiert und aktiv aufrechterhält, um mit dem Einsatz persuasiver Mittel und Methoden Meinungen und/oder Verhaltensweisen zu beeinflussen

Die konzertierte Aktion gegen die Grünen-Politiker bewertete Boenisch aber eher als abstoßende Ausnahme denn als denunziatorische Regel. Vor diesem Hintergrund lässt sich der Vorwurf des Kampagnenjournalismus wieder auf das zurück brechen, war er immer war: ein ideologischer Kampfbegriff, nichts als reine Polemik.

Es gibt noch einen weiteren Aspekt der Diskussion, der Beachtung verdient. Wer Medien nur noch als Sprachrohre unterschiedlicher Interessengruppen versteht und meint, die öffentliche Meinung lediglich durch Manipulation beeinflussen zu können, hat sich vom hohen Gut der Meinungs- und Pressefreiheit längst verabschiedet.

Wer »Deutungshoheit« anstrebt, will keine Diskurse. Welche Blüten dieser usurpatorische Umgang mit Medien treibt, zeigte sich in der Debatte um den deutschen Auslandssender »Deutsche Welle«, der 2008 wegen seiner angeblich regimefreundlichen Berichterstattung ein paar Monate vor den Olympischen Spielen in Peking in die Kritik chinesischer Dissidenten geraten war.

In einem offenen Brief einer deutschen Schriftsteller-Organisation wurde daraufhin gefordert, Mitarbeiter des Senders, die mit Diktaturen in Berührung kämen, auf ihre politische Zuverlässigkeit hin zu überprüfen. Dies genügte als Schlüsselreiz, um Gesinnungsschnüffelei zu wittern und alte Feindbilder aus Zeiten des Radikalenerlasses zu reanimieren. Innerhalb kürzester Zeit wurden mehr als 100 Wissenschaftler, Politiker und Journalisten für eine denunziatorische Gegenkampagne mobilisiert, die ganz nebenbei auch darum bemüht schien, die Volksrepublik China vom Vorwurf des »Schurkenstaats« freizusprechen.

Dass es in der Diskussion tatsächlich um einen Bereich ging, in dem einigen China-Experten der Verlust der bisherigen Deutungshoheit drohte, nahmen dann nur noch Insider wahr. Auch hier erwies sich die behauptete Sorge um die Demokratie und Pressefreiheit als schlichtes Totschlagargument.

Die Initiatoren der Kampagne versuchten dabei den raffinierten Beweis anzutreten, wie sich mit einem Kampagnenvorwurf eine Kampagne aufziehen lässt. Dabei nahmen sie für sich in Anspruch, moralisch zuverlässig darüber entscheiden zu können, wessen öffentliche Äußerungen Produkte freier Meinungsbildung sind und wessen Äußerungen manipuliert erscheinen.

So war die Deutsche Welle-Aktion vielleicht ein weiterer letzter Reflex jener alten Zeiten, in denen eine Partei ganz selbstverständlich Themen über willfährige Journalisten in die Öffentlichkeit bringen konnte unter Vortäuschung einer professoralen Unabhängigkeit.

Nicht erst jetzt stellt sich damit die Frage, ob die Diskreditierung des politischen Journalismus in Deutschland nur zufällig auch der Durchsetzung eigener politischer Ziele dienen soll. Genährt wird der Verdacht, dass es um ganz eigene Interessen geht, auch durch die Tatsache, dass es eigentlich immer die gleichen Mahner sind, die sich im Kampf gegen die Anfälligkeit ihres Berufsstands für politische Vereinnahmung verschwenden. Im Grunde ist es nur eine Handvoll Leute, die ihre Medienkritik wichtigtuerisch mit einer Rettungsmaßnahme für die Demokratie verwechselt.

Dabei muss man sich auch die Augen reiben, wenn sich darunter etwa ein leibhaftiger Regierungssprecher, der des Berliner Senats, anmaßt, in die Rolle eines unabhängigen Medienkritikers zu schlüpfen und Journalisten des »alarmistischen Gegackeres« zu bezichtigen, denen er von Berufs wegen eigentlich Rede und Antwort zu stehen hätte, anstatt sie pauschal abzuwatschen.

Genug der Medienschelten. Der Journalismus hat es nämlich mit ganz anderen Krisen zu tun. Der Rückbau abhängiger Arbeitsverhältnisse, die enorme Steigerung des Zeitdrucks und auch die Prekarisierung der freien Journalisten haben einen extrem negativen Einfluss auf die Recherchequalität. Die existenzielle Bedrohung wird noch verstärkt durch das Internet. Auch hier neigen die deutschen Experten allerdings zu Fehleinschätzungen. Immer noch wird hierzulande ernsthaft darüber diskutiert, ob das Internet eines nicht mehr fernen Tages den traditionellen Journalismus ablösen wird.

Einer der wenigen Experten, der den Herrschaftsanspruch der Internet-Fexe etwas dämpfen mag, ist der frühere Leiter der Medienredaktion des Evangelischen Pressedienstes und jetzige Journalistikprofessor Volker Lilienthal. Für ihn entsprechen die Publikationen in Blogs, Twitter, Facebook und Co. nur der bekannten Praxis guter alter Leserbriefe:

»Im Grunde gab es Blogger früher schon in der Lokalzeitung. Das waren pensionierte Lehrer, Vorsitzende von Vereinen, und die kamen in die Redaktionsstube und mussten einen Bückling machen, damit der Herr Redakteur gnädigerweise ihren Artikel druckte. Dieses Hierarchieverhältnis hat sich umgedreht. Das verunsichert den Journalisten, der früher der Torwächter war, der allein entschied, was veröffentlicht wurde und was nicht. Das gibt es so nicht mehr. Das ist auch gut so

Aktuelle Studien aus den USA belegen, dass diese sogenannte Gatekeeper-Funktion nach der Euphorie über die nahezu vollständige Verfügbarkeit aller Informationen inzwischen wieder als wichtigste Funktion des Journalismus betrachtet wird. Die vollständige Verfügbarkeit von Informationen führt keineswegs selbstverständlich zu der erwarteten besseren Fundierung der Kenntnisse für politische Meinungsbildungsprozesse. Dass ein Überangebot an Informationen sogar zu Verdummung führen kann, analysierte schon Anfang der 1990er-Jahre Hans-Magnus Enzensberger.

So ist denn auch zu beobachten, dass sich im Internet Teilöffentlichkeiten ausbilden, die gar nicht mehr in einen Diskurs miteinander treten. Abgesehen davon machen politische Seiten im Internet nur einen prozentualen Bruchteil des gesamten Angebots aus. Im Hinblick auf einen produktiven Informationsfluss glänzen eigentlich nur die themenspezifischen Blogs, in denen sich etwa Wissenschaftler über Forschungsstände austauschen.

Die meistbesuchten Onlineangebote in den USA - und zwar mit stetig steigenden Zuwachsraten - sind die Seiten traditioneller Qualitätsmedien. Die Leser geben als Grund für ihre Wahl an, dass sie verlässliche, nämlich faktenbasierte Informationen suchen. Ob sie diese nun via neuer oder alter Medien konsumieren, ist lediglich für die wirtschaftliche Seite der Nachrichtenindustrie wichtig. Dort besteht der Innovationsbedarf.
Selbst die Medienkritikerin Tissy Bruns muss zugeben, dass ihre Kollegen vor dem Internet wie das Kaninchen vor der Schlange erzittern müssen:

»Journalisten sind, nicht anders als Politiker, heute die Getriebenen, nicht die Gestalter ihrer Berufswelt. Bestehen werden sie die drängenden Herausforderungen des Internets nur, wenn sie ihre Sinnkrise reflektieren

»Geht sterben!« schleudert auch der professionelle Journalistenjäger Stefan Niggemeier seiner eigenen Zunft entgegen. Dabei hat keine seiner Recherchen bisher auch nur ansatzweise das gestreift, was unter Enthüllung zu verstehen wäre. Er selbst ist ein unermüdlicher Kämpfer wider Tippfehler und Zahlendreher und sehr guter Gegenrechercheur. Gegenrecherche allerdings lebt von der Arbeit der anderen. Bevor er auf Fehlerjagd gehen kann, müssen andere erst einmal den Text dazu erarbeiten. Er und seine große Fangemeinde, die alle hämisch das Aus der »Holzmedien« prophezeien, haben bisher noch keinen politischen Skandal aufgedeckt.

Diesen kleinen Mangel der freien Informationsauswahl im Internet hat die neue Info-Elite Deutschlands bei ihrem gemeinsam verfassten Internet-Manifest übrigens nicht erwähnt. Mitte 2009 taten sich hier einige bekannte Blogger als Ideengeber für den ihrer Meinung nach notwendigen neuen Journalismus zusammen. Anlass waren die angesichts der Medienkrise erhobenen Forderungen deutscher Verleger an die Gesetzgebung zur Wahrung der Pressefreiheit.

Das Gut, das es zu schützen gelte, sei - so der Großverleger Hubert Burda in einem Kommentar für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« - die Bewahrung der kritischen Öffentlichkeit, die nur durch funktionierende Medien herzustellen sei. Gegen solche Wertungen liefen die Internet-Theoretiker Sturm. Was Wunder, halten sie sich doch selbst für die Schöpfer und Bewahrer jener kritischen Öffentlichkeit, die die funktionierende Demokratie erst möglich machen soll.

Nicht reflektiert werden zahlreiche Studien, die belegen, dass das Internet eben nicht jene erhoffte Online-Agora ist. Politische Partizipation wird hier so gut wie gar nicht generiert. Aktiv werden virtuell nur die, die es auch analog schon sind. »Die neue Pressefreiheit heißt Meinungsfreiheit«, heißt es im Manifest. Deshalb müsse das Privileg der Pressefreiheit für jeden gelten, der zur Erfüllung der journalistischen Aufgaben beitragen kann. Meinungsfreiheit war jedoch schon immer der übergeordnete Bezugsrahmen der Pressefreiheit.

Um seine Meinung frei zu äußern, braucht man kein Zeugnisverweigerungsrecht. Mit dem ganzen Bohei, den die Überheblichkeit der Alpha-Blogger und ihrer immer gleichen Kommentatoren-Rudel zu generieren imstande sind, erhielt die Aktion eine Beachtung, die der Inhalt der Erklärung gar nicht hergab. Bei Lichte betrachtet handelte es sich um eine PR-Maßnahme. Sowohl WikiLeaks als auch die Aktivitäten anonymer Plagiatejäger im Fall Guttenberg zeigen, dass der publizistische Einfluss des Internet ganz klassisch faktenbasiert ist.

Es spricht einiges dafür, dass die aktuelle Diskussion um die angebliche Verwahrlosung der Medien, durch irgendwelche Alpha- oder Kampagnenjournalisten seinerseits nur ein Produkt solcher Meinungsmache ist. Solange die öffentliche Debatte aber von Kritikern dominiert wird, denen es gar nicht um eine objektivere Berichterstattung oder demutsvollere Nähe zum eigenen Volk geht, sondern um eine ideologische Zurichtung nach ihren Interessen, können die Medien kaum an neuem Selbstvertrauen gewinnen.

Guten Grund, frohen Mutes in die Zukunft zu schauen, haben sie allemal. Inzwischen sind fast 50 Prozent der amerikanischen Surfer auf den Online-Angeboten der traditionellen Medien unterwegs. Guter Journalismus hat nichts von seiner gesellschaftlichen Relevanz verloren. Vielleicht ist die Lösung, sich endlich vom deutschen Sonderweg des Meinungsjournalismus zu verabschieden. Wie sagte jüngst die zweifache Pulitzerpreis-Gewinnerin Dana Priest der TAZ:

»Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, wie sie hier Kommentare schreiben und trotzdem Journalist sein können. Das sind doch zwei vollkommen verschiedene Dinge, die überhaupt nicht zusammenpassen.«






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